0012 - Lebendig begraben
Wie eine zweite Haut lag der Schweiß auf meiner Stirn. Längst war die Seide der Kissen nicht mehr trocken und kühl, sondern durchgeschwitzt. Ich atmete nur durch die Nase, bewegte die Arme etwas zur Seite und stieß schon an die seitliche Begrenzung des Sarges.
Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich die Stimmen der Menschen hören. Die Einwohner von Orlington hatten es tatsächlich geschafft. Mit Zarcadis Hilfe hatten sie mich ausgeschaltet.
Hoffnung? Hatte ich überhaupt noch Hoffnung? Ja, da war noch Suko, der ebenfalls nach Orlington fahren sollte, um mir den Rücken zu decken. Bis jetzt hatte ich von ihm nicht einen Hemdzipfel gesehen.
Meine Gedanken wurden unterbrochen. Jemand hob den Sarg an. Die Totenkiste geriet ins Schaukeln. Da die Tiäger nicht im Gleichschritt gingen, schwang der Sarg bei jedem ihrer Schritte hin und her. Ich fühlte mich wie auf einem Schiff, fiel mal nach rechts, dann wieder nach links. Ich ahnte, wohin die Träger mich brachten. Zum Friedhof von Orlington, den ich in verdammt schlechter Erinnerung hatte. Dort war das Grab für mich schon geschaufelt. Der alte Totengräber hatte es mir deutlich genug zu verstehen gegeben. Ich versuchte, ruhig liegenzubleiben, und wunderte mich, daß ich keine Angst hatte. Normalerweise hätte mich Panik ergreifen müssen.
Nichts. Ich war seltsamerweise ruhig.
Geschichten von Scheintoten fielen mir ein. Man sagte Scheintoten nach, daß sie in ihrer Panik das eigene Totenhemd aufessen, wenn sie kurz vor dem Ersticken sind. Sollte es bei mir irgendwann auch soweit sein? Möglich war alles.
Das Schaukeln des Sarges wurde heftiger. Übelkeit befiel mich. Gepreßt sog ich den Atem durch die Nase ein. Aber wurde die Luft nicht schon schlechter? Hatte ich schon zuviel Sauerstoff verbraucht?
Plötzlich stoppten die Träger.
Wie aus weiter Ferne vernahm ich das Wiehern eines Pferdes. Dann wurde der Sarg wieder angehoben, es gab einen Ruck, einen dumpfen Laut unter mir, und dann stand die Totenkiste. Ich konnte eins und eins zusammenzählen und gelangte zu dem Ergebnis, daß der Sarg auf der Ladefläche eines Wagens stehen mußte. Ich hatte mit meiner Vermutung recht. Sekunden später ruckte der Wagen an. Gedämpft hörte ich das Trampeln von Pferdehufen.
Draußen quietschte etwas. Wahrscheinlich die Räder, deren Lager schlecht geölt waren.
Ich lag jetzt unbeweglich. Auf meiner Stirn sammelte sich der Schweiß zu Tropfen, rann an den Seiten hinab und benetzte das Seidenkissen. Ja, sie hatten sich Mühe gegeben und einen kostbaren Sarg besorgt. Aber der steht mir auch zu, dachte ich in einem Anflug von Galgenhumor. Schließlich hatte ich den Mächten der Finsternis schon so manche Niederlage beigebracht. Ich wußte, wie sehr man mich im Reich der Dämonen haßte. Mein Name wirkte wie ein rotes Tuch. Aber bis jetzt hatte ich noch jeden Fall gelöst.
Meine Gedanken wechselten und kehrten zu meinen Freunden zurück. Jane Collins hatte ich gar nicht zu Gesicht bekommen. Das heißt, ihre Geistererscheinung sah ich wohl, damit hatte man mich in die Falle gelockt. Aber wo sie gefangengehalten wurde und wie es ihr jetzt ging, das wußte ich nicht. Und Suko. War er überhaupt in Orlington eingetroffen? Ich hoffte es inständig, denn er war meine letzte Chance. Falls er wirklich im Ort war, mußte ihm meine Beerdigung auffallen. Es bestand ebenso die Möglichkeit, daß Suko, genau wie ich, in eine Falle gelockt worden war.
Der Gedanke daran ließ mein Herz rascher schlagen. War das schon die Angst? Wahrscheinlich.
Ich hielt die Augen geschlossen und konzentrierte mich auf die Geräusche, die von draußen an meine Ohren drangen. Da war nur das Schlagen der Hufe. Das Mahlen der Räder und hin und wieder das Schnauben eines Pferdes. Gespräche hörte ich keine.
Durch das steife Liegen schliefen mir Arme und Beine ein. Das wollte ich auf keinen Fall. So bewegte ich die Hände und die Zehen, um etwas für den Kreislauf zu tun.
Der Wagen fuhr in eine Kurve. Die Wegstrecke wurde noch schlechter. Der schwere Sarg bewegte sich auf der Ladefläche. Ich hoffte, daß er hinunterfiel und aufsprang. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Weiter fuhr der Wagen seinen Weg. Dann bog er auf einmal scharf nach links ab. Jetzt hatten wir den Friedhof erreicht, das war mir klar. Und von Suko war noch immer nichts zu merken.
Langsam begannen meine Nerven zu flattern. Meine Finger zitterten, vom Magen her drückte ein würgendes Gefühl in meiner Kehle hoch.
Der Tod kam
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