Diese Sehnsucht in meinem Herzen
Richtige getan, und jetzt wird alles gut.“ Josey lächelte schwach. „Ich wünschte, ich hätte diese Worte vor kurzem schon gehört.“ Schweigend sahen die beiden sich an.
In dieser Nacht konnte Nate das erste Mal seit langem richtig schlafen – ohne wie in den letzten Wochen von einem Albtraum nach dem anderen gefangen genommen zu werden und dazwischen völlig gerädert hochzufahren. Nein, diesmal war es ein ruhiger, traumloser Schlaf, aus dem er erholt wieder aufwachte.
Am Abend davor hatte er noch herausfinden können, worauf er und Josey gehofft hatten: dass Mike aus seinem gewalttätigen Elternhaus geholt und bei einer Pflegefamilie untergebracht worden war.
Nun lagen alle weiteren Entscheidungen beim Gericht. Diese Entscheidungen betrafen Mikes eigene Zukunft und auch die seines Vaters. Soweit Nate das herausfinden konnte, hatte Mikes Dad seinen Sohn und auch seine Frau schlimm misshandelt, und Mikes Mom hatte nichts unternommen, um sich selbst und ihren Sohn aus diesem schrecklichen Umfeld zu befreien.
Aber Josey hatte etwas unternommen.
Nate duschte schnell und war eine halbe Stunde später schon auf dem Weg ins Büro. Er hatte sich schon bei Jeffers angekündigt und ihm gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass er sich nicht länger aus Mitgefühl von der Arbeit fern halten lasse.
Nate schloss die Tür zu seinem Büro und schlug einen Aktenordner auf. Dr. Jesse Moran, der Arzt, der Mike gestern untersucht hatte, war ein alter College-Freund von Nate. Die beiden sahen sich zwar nicht häufig, telefonierten jedoch hin und wieder miteinander. Jesse freute sich, wieder von Nate zu hören, doch dann wurde er sofort ernst, als er hörte, weswegen er anrief. Der Arzt berichtete, dass er viele alte Narben an Mikes Körper entdeckt hatte, die darauf hinwiesen, dass der Junge nicht erst seit kurzem misshandelt wurde. Das Kind brauchte dringend psychologische Betreuung.
Einige Tage später besuchte Nate den Arzt im Krankenhaus.
„Er redet nicht“, sagte Jesse besorgt.
„Wie meinst du das – er redet nicht?“ hakte Nate nach. „Als er zu der Pflegefamilie kam, hat er der Polizei doch noch einiges erzählt.“
„Tja, aber jetzt macht er völlig dicht. Wahrscheinlich fühlt er sich schuldig. Oder er hat Angst. Du darfst nicht vergessen, dass er noch ein kleiner Junge ist.“
„Warum soll er denn überhaupt weiter darüber reden müssen?“ wandte Nate ein.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir längst genug gegen seinen Vater in der Hand haben.“
„Ja, natürlich habt ihr genug für den Prozess, aber ich spreche ja auch gar nicht von der rechtlichen Seite. Das ist deine Angelegenheit. Mir geht es jetzt um Mikes seelisches Gleichgewicht. Bestimmt haben beide Elternteile den Jungen eindringlich davor gewarnt, auf keinen Fall zu verraten, was bei ihm zu Hause passiert – niemandem. Aber er hat es trotzdem getan. Jetzt hat die Polizei seinen Vater verhaftet, und man hat den Jungen von seiner Mutter weggebracht.“
„Aber das ist doch das Beste für ihn!“
„Das bezweifle ich ja auch nicht. Ich meine nur, dass Mike im Moment Schlimmes durchmacht, und wenn er mit niemandem darüber redet, könnte das schwerwiegende Folgen haben.“
Nate schwieg, und Jesse deutete das als Aufforderung fortzufahren. „Ich habe einige Psychologen gebeten, mit dem Kind zu reden, habe mich sogar selbst mit ihm beschäftigt. Aber er scheint zu niemandem Vertrauen zu fassen. Und es ist ausschlaggebend, dass er jemandem vertraut, damit er über das sprechen kann, was er erlebt hat. Wenn er das könnte, würde das enorm dabei helfen, seine seelischen Wunden zu heilen. Wenn er aber weiterhin alles für sich behält, wird er noch eine sehr lange Zeit daran zu tragen haben. Auch wenn die Narben auf seinem Rücken längst verschwunden sind. Er ist noch ein kleiner Junge. Wenn wir ihm jetzt helfen können, dann kann er vielleicht ein ganz normales Leben führen.“
Ein ganz normales Leben. Eine unerklärliche Panik überkam Nate, als er sich vorstellte, wie Mikes Vergangenheit den Jungen ein Leben lang verfolgen würde…
es sei denn, er würde sich jemandem anvertrauen.
Und Nate wusste genau, welche Person am besten dafür infrage kam. Diese Person brachte es fertig, dass sich jeder in ihrer Anwesenheit wohl fühlte. Sie urteilte niemals vorschnell und war immer bereit zu helfen, selbst wenn sie dazu gar nicht in der Lage war.
15. KAPITEL
Die Pflegemutter Francine Travis zeigte Josey und Nate Mikes Zimmer, dann zog
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