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»Bewältigungsaufgabe« (Retzer-Wort!): »Viele Paare gehen nur noch partnerschaftlich miteinander um: Kapital ist kumuliert, Kinder erzogen, Haus bezahlt. Diese Paare sind verzweifelt, weil ihnen die Liebe abhandengekommen ist. Hier hilft es, auf die Ressource ›Liebesbeziehung‹ zurückzugreifen, ich spreche sie dann zum Beispiel auf den Gründungsmythos ihrer Liebe an, darauf was sie in der Auslage ihres Herzens hatten, als sie den anderen kennengelernt haben. Und innerhalb von Sekunden kann sich die Atmosphäre im Raum ändern.«
Und dort, wo die Liebesbeziehung an ihre Grenze stoße, zum Beispiel, wenn das erste Kind in die Intimität des Paares eindringt, müsse man auf Partnerschaft umstellen: »Dann geht es nicht mehr um das ungehemmte Miteinander zu zweit, sondern darum, als Paar fair durch den Alltag zu kommen: Wie schlafen wir? Wie arbeiten wir? Wer füttert das Kind?«
Auch bei Tobias und Silke änderte sich die Atmosphäre im Raum, als ihre Paartherapeutin nach dem Gründungsmoment ihrer Liebe fragt. Dreizehn Jahre war es nun her, seit sie sich in dem Münchner Verlag begegnet sind, sie die junge Lektorin, er der Fotograf. Sie lernten sich bei einem gemeinsamen Projekt kennen – und harmonierten von Anfang an. Tobias war kurz zuvor von einer Frau verlassen worden, er hatte Vorbehalte, sich auf etwas Festes mit Silke einzulassen, hielt sie auf Distanz – eine Ausgangskonstellation, die die beiden bis heute prägt.
Was sie schließlich doch füreinander Feuer fangen ließ, war die Leidenschaft, die sie aus ihrer gemeinsamen Arbeit zogen, die gegenseitige Freude, sich intellektuell zu bereichern. Wenn man Tobias fragt, was er am meisten an Silke schätzt, dann hellt sich sein ganzes Gesicht auf und er erzählt von Silkes »wahnsinniger« Leidenschaft für bestimmte Themen, von ihrer Kompromisslosigkeit und dem energischen Einstehen für ihre Ideale. »Was natürlich auch heißt, dass ich mir bestimmte Urteile selbst gefallen lassen muss und mich nicht rausschlawinern kann.«
Am Ende der ersten Sitzung sagt die Paartherapeutin, wie außergewöhnlich es sei, dass die beiden so gut als Team funktionierten – obwohl sie so viel aufeinanderhockten. »Andere hätten sich da schon längst getrennt. Mir würde es bestimmt großen Spaß machen, mit Ihnen zu arbeiten.« Es war das größte Kompliment, das man Silke und Tobias machen konnte. Zwei, mit denen man gerne arbeitet, waren ein interessantes Paar. Ein Paar mit Zukunft. Alles würde gut werden, das wussten sie nun.
Nur fünf Mal gehen sie zu ihrer »Tante«, wie sie die Therapeutin seither nennen (»lustig, dass wir sie zu einem Teil der Familie gemacht haben«). Bei der fünften Sitzung merken alle Beteiligten, dass es eigentlich nur um Lächerlichkeiten geht, um Silkes Problem mit der Kühlschranktür und Tobias’ Angewohnheit, Socken in der Wohnung zu verteilen.
Sie verabschieden sich von ihrer Tante und versprechen, bei Bedarf wiederzukommen. Fast ein Jahr ist seitdem vergangen. Sie streiten kaum noch, und wenn, dann bei Weitem nicht so drastisch wie früher. Tobias hat wieder mehr Aufträge – auch das hat der Beziehung gutgetan. Als Silke vor Kurzem im WDR -Fernsehen zu ihrem Buch interviewt wurde, schrieb er ihr per SMS : »Mein Gott, du siehst fantastisch aus. Du machst das suuuper!« Ein andermal, als Silke von einer Dienstreise zurückgekommen ist, holte er sie vom Bahnhof ab, auch das hatte er lange nicht gemacht. Sie fielen sich am Bahnsteig um den Hals, und für einen Moment dachte Silke: »Ha! Ihr Leute denkt bestimmt nicht, dass wir schon dreizehn Jahre zusammen sind.« Sie waren wieder glücklich.
»Ich guck doch nur« – Warum das Angebot weiter lockt und wir nie zufrieden sind
Als ich zurück in München an meinem Schreibtisch sitze, geht mir nicht aus dem Kopf, was Arnold Retzer über jene Paare erzählt hat, bei denen sich einer schon aus der Beziehung verabschiedet hat – sei es durch eine Affäre oder durch »innere Kündigung«, wie er es nannte. Untreue ist noch immer einer der häufigsten Trennungsgründe von Paaren. Doch im digitalen Zeitalter sind die Grenzen fließend geworden, was das eigentlich heißt.
Das hatte mir auch die Geschichte eines befreundeten Paares klargemacht. Als ich Eske neulich traf, klagte sie, wie sehr sie Angst habe, Benedikt würde sie betrügen. Dabei waren die beiden gerade zusammengezogen, es war erst ein paar Wochen her, dass Benedikt allen Umzugshelfern stolz erklärte, dass »das hier
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