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Dieses Buch gehört meiner Mutter

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Titel: Dieses Buch gehört meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Hackl
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Brüllen und Quieken in den Ställen,
    die dumpfen Schläge von Hufen auf Holz,
    sogar noch das Bersten der Mauern.
    Wir rannten von Hof zu Hof,
    das Vieh losmachen und wegtreiben.
    Dasig vom Rauch stand es am Hang
    und glotzte in die rußige Landschaft.
    Zuerst brannte die obere Firling ab.
    Dann drehte sich plötzlich der Wind,
    [57]  und das Feuer erfaßte auch unsere Seite:
    vom Bayer, Stellnberger bis herunter zum Fessl.
    Wir wären die nächsten gewesen.
    Die Flammen züngelten schon
    wie Nattern am Gartenzaun.
    Die Feuerwehr kam zu spät,
    aber immer noch früh genug,
    uns das Strohdach zu zertreten
    und den Wohntrakt vollzupumpen.
    »Brand aus«, meldete der Löschmeister
    am späten Nachmittag. Die Bilanz:
    um die zwanzig schwarze Hausruinen,
    Jammern, Steingesichter, zwei Tote.
    Die Pointnerin war noch einmal
    ins brennende Haus gelaufen,
    um einen Strauß Feldblumen zu retten.
    Man zog sie unter einem Pfosten hervor
    und legte sie bei uns in die Stube.
    Die Haut hing ihr in Fetzen vom Leib.
    Sie starb auf dem Transport in die Stadt.
    Der Koller erhängte sich in der Brandstatt,
    in Hemdsärmeln. Sein Sonntagsrock lag
    fein säuberlich gefaltet auf einem Stein.
    Obenauf das Gebetbuch, zugeklappt.
    Wie alt ich damals war, sieben Jahr,
    und fing gerade mit dem Schulgehen an.
    [58]  Eine Woche vor dem großen Feuer
    hatte ich aus unserer Wagenhütte
    eintönig lautes Klopfen gehört.
    Wie wenn in regelmäßigen Abständen
    Blech schwer auf Blech schlägt.
    »In der Wagenhütte ist wer!«
    Unser Knecht ging nachschauen.
    Mein Vater ging nachschauen.
    Der Hansl ging nachschauen.
    »Das hast du dir nur eingebildet.«
    Nach dem großen Feuer war das Klopfen
    wieder zu hören, zwei Wochen lang
    von drei Uhr früh bis in die Nacht hinein.
    In der Wagenhütte schlug der Hartminer Hans
    Ziegel um Ziegel für den Wiederaufbau.
    [59]  Abhausen. Alles verspielen.
    Aus Eigensinn, aus Größenwahn,
    aus Mut zum Risiko, aus Angst davor.
    Weil man sich von anderen
    zu viel oder zu wenig sagen ließ.
    Weil die Zeit danach war.
    Da hätten wir gern weggeschaut.
    Wenn die abgehausten Bauern
    auf einem Leiterwagen abgeschoben wurden
    in die Gemeinde, die für sie zuständig war.
    Mit Sack und Pack und ohne Geld.
    Der Robesbauer und seine Kinder.
    In Weitersfelden der größte Hof.
    Schlecht getauscht für ein Wirtshaus.
    Dort selber der beste Gast gewesen.
    Die ältesten starben an Wundstarrkrampf.
    Es waren Zwillinge, der Hansl und die Gretl.
    Dann kam die Miazzl, dann kam der Schorl,
    dann kam der Edi, dann kam der Otto,
    dann kam die Resl, dann kam die Paula,
    dann kam der Fritzl, dann kam der Walter.
    Zehn Kinder, und zwei sind gestorben.
    Dann tauschte er, was vom Wirtshaus
    noch zu tauschen war, gegen eine Säge.
    Wieder abgehaust. Mittellos heimgekommen.
    Vom Leiterwagen gesprungen, grüßend,
    samt blasser Frau und acht müden Kindern.
    Wir haben sie drei oder vier Tage behalten.
    [60]  Bevor sie wieder auf einen Leiterwagen stiegen,
    das letzte Stück Weg in das Dorf,
    von dem sie aufgebrochen waren,
    gab ihnen mein Vater einen Sack Mehl.
    Für den Neuanfang, der nichts anderes war
    als ein Strampeln aus lauter Übermut, unterzugehen.
    Wir schauten ihnen nach, bang, ob sie uns nicht
    zum Verwechseln ähnlich sahen. Wir ihnen.
    [61]  Seine Frau war jung gestorben,
    er hatte nicht wieder geheiratet.
    Er führte eine gute Wirtschaft,
    er hatte drei fleißige Kinder.
    Der Oswaldl war ein Quartalssäufer.
    Alle drei Monate kehrte er bei uns ein,
    setzte sich in den Stubenwinkel,
    trank viel, aß wenig, redete gern.
    Von Sonntag nach der Messe
    bis Mittwoch vor dem Füttern.
    Dann ging er schwankend heim.
    Einmal erschien ihm seine Frau.
    Sie war im Paradies.
    Sie trug ein blaues Kleid.
    Vögel zwitscherten.
    Es roch, wie es im Paradies eben riecht,
    nach tausend Rosen.
    Seine Frau schaute ihn zärtlich an.
    Das blaue Kleid war ein blauer Schurz
    am Haken neben der Tür.
    Die Vögel zwitscherten vor dem Fenster,
    das zum Auslüften offenstand.
    Das Paradies war die Türschwelle,
    über die er fiel, in aller Herrgottsfrüh,
    als er seine Notdurft verrichten wollte,
    betäubt vom schweren Duft des Flieders
    im Garten vor unserem Haus.
    Seine Frau schaute ihn zärtlich an.
    [62]  Die Bauern und ihre Töchter,
    das war ein Kapitel für sich.
    Sie ließen sie nichts lernen,
    sie ließen sie nichts wagen,
    sie ließen sie nicht fort,
    außer zum Einheiraten
    auf einen anderen Hof,
    außer als Dienstmagd
    auf einen größeren

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