Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Glücklitz und erzählte, der Weihnachtsmann persönlich würde in ihrem Dorf leben und in Wirklichkeit Uwe heißen. Vielleicht hat der Weihnachtsmann Uwe Herrn Köpke den Kranz geschenkt und gesagt, wehe, du machst ihn wieder ab!
Abends, wenn es dunkel wird, gehe ich durch das Dorf spazieren, bis zur Kirche und zurück. Die Straßen hier haben keine elektrische Beleuchtung, man ist auf das Licht der Fenster am Weg angewiesen und darf nicht von der bekannten Route abweichen: Zwei Schritte nach links und man ist für immer im Busch verschwunden. Auf dem Rückweg benutze ich Herrn Köpkes Adventskranz als Leuchtturm.
Trotz der fehlenden Straßenlaternen und Fußgänger hat das Dorf sehr gute Augen. Es gelingt einem selten, über die Straße zu schlendern, an fremden Häusern vorbei, ohne Aufsehen zu erregen. Ein Paradox: Die Augen des Dorfes sind scharf, während die Augen der Großstadt blind sind. Das Phänomen der Großstädte ist jung, die Menschen haben es noch nicht richtig drauf, in der Menge zu leben und andere Menschen nur als fremde Rücken in der Straßenbahn wahrzunehmen. Tausende von Jahren waren Menschen Gartenwesen und lebten in kleinen Kommunen und Gemeinden, wo jeder jeden kannte. Man wusste, was man von seinem Nachbarn links oder rechts zu erwarten hatte. Von der Geburt bis zum letzten Atemzug verbrachte man sein Leben in der Öffentlichkeit. Deswegen lesen sich die alten Bücher, beispielsweise das Alte Testament, zum großen Teil wie eine Familiensaga, in der sehr aufwendig berichtet wird, wer mit wem zusammenkam, welches Kind dabei gezeugt wurde, und was aus diesem Kind später geworden ist.
Erst mit der Industrialisierung entstanden die Großstädte und damit die Möglichkeit, sich in der Masse zu verlieren, sich hinter den Mauern und Wänden kleiner Wohnungen vor den Nachbarn zu verstecken, die Fenster zu schließen und schwere Gardinen aufzuhängen, damit niemand mitbekam, was hinter diesen Gardinen los war. In der Großstadt kommen die Menschen mit Neuem und Unbekanntem klar, für sie ist schließlich jeder Tag und beinahe jeder Fußgänger neu und unbekannt. Auf dem Land wehren sich die Menschen dagegen mit Händen und Füßen gegen alles Neue, seien es Eisenbahn, Flugplatz oder Schweinefarm. Das Neue wird als Angriff auf bereits Bestehendes begriffen.
Glücklitz wehrte sich bislang gegen alle derartigen Angriffe. Egal mit welchen Vorschlägen die Außenwelt nach Glücklitz kam, die Glücklitzer waren immer dagegen. Die Russendisko war eine Ausnahme. Für diesen Spaß waren sie zu haben. Aber jeder andere Versuch, die Idylle des Landlebens zu stören, scheiterte bis jetzt. Einmal wollte ein Tierzüchter aus Dänemark in der Nähe des Glücklitzer Sees eine Schweinemastfarm für 50 000 Schweine errichten. Er versprach, die Natur nicht nachhaltig zu schädigen und nur ökologische Schweine zu mästen. Die Glücklitzer liefen dennoch Sturm gegen das Projekt. Sie sammelten Unterschriften gegen die »Schweineheuschrecken des dänischen Kapitals«. »Wir sind friedliche und geduldige Menschen«, schrieben die Glücklitzer in einem offenen Brief an die Bezirksverwaltung, »doch wenn 50 000 Schweine täglich an einem Ort koten, sitzen wir tief in der Scheiße. Ganz egal wie ökologisch sie es tun, es wird trotzdem eine Menge von hochgiftigem Zeug anfallen, das außerdem noch schlecht riecht. Wir werden nicht zulassen, dass unsere kleine heile Welt untergeht.«
Mit der Zeit wurden immer neue Argumente gegen die Schweine des Kapitals ins Spiel gebracht, die sich in immer strengere Auflagen für die Farm verwandelten, bis der dänische Schweinekapitalist nachdenklich wurde. Bei so viel Widerstand überlegte er es sich schließlich anders und zog mit seiner Farm weiter in die Steppe nach Mecklenburg-Vorpommern, wo die Menschen träge und nicht so leicht aus der Fassung zu bringen sind. Wegen ein paar Schweinchen machen sie dort keinen Aufstand.
Doch die Außenwelt wollte Glücklitz nicht in Ruhe lassen. Kaum war der Angriff der Schweine abgewehrt, kamen die Technotänzer. Ein windiger Geschäftsmann wollte seine berühmten Technopartys auf einer Glücklitzer Wiese veranstalten, zwischen Wald und See. Die Party sollte als Geheimtipp in der Szene für großes Aufsehen sorgen. Auf krummen Wegen hatte der Veranstalter sogar eine amtliche Erlaubnis für sein Konzept bekommen. Drei Tage und drei Nächte durfte man nun tanzen bis zum Umfallen, zwischen Sonne, Wasser und Gras am Ende der Welt neben der
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