Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
gelesen, die, um Kosten zu sparen, ihre kälteresistenten Tiere in einem See bei Neuruppin ausgesetzt hat.
Mathias wartete damals nicht auf das Ende seines Zoos, er bewarb sich im Westen, wie es damals viele taten. Dazu inserierte er in der Fachzeitung »Der Tierfreund«. In derselben Ausgabe, in der seine Annonce veröffentlicht wurde, stand eine Ausschreibung für eine freie Stelle als Tierheimleiter in Südbayern. Er bewarb sich sofort. Die für bayerische Verhältnisse recht dürftige Bezahlung kam ihm, dem ostdeutschen Elefantenpfleger, üppig vor. Beide Seiten waren glücklich, und Mathias wurde zum Leiter eines nagelneuen, gerade eingerichteten Tierheims.
Nicht nur die Menschen in Bayern waren anders, auch die Tiere hatten dort einen eigenen Charakter, meinte Mathias. Die bayerischen Hunde wären strenger als die brandenburgischen erzogen, drehten aber öfter durch. Die Wellensittiche seien nicht so ängstlich, dafür jammerten die Katzen mehr. Das Tierheim hatten die ordentlichen Bayern gebaut, um Bürgern die Möglichkeit zu geben, jederzeit die ihnen unliebsam gewordenen, alten oder kranken Tiere abzugeben. Es gab aber auch Bürger, die umgekehrt Tiere aus dem Tierheim holten. In der Regel nahmen die ruhigsten, liebevollsten Bürger die wildesten Tiere auf. Katzen, die wie Hunde bellten, oder Hunde, die schon fünf Jogger auf dem Gewissen hatten, kamen gut mit alten einsamen Frauen klar, meinte Mathias.
Nach fünfzehn Jahren in Bayern war es für ihn Zeit, zurück nach Brandenburg zu gehen. Zusammen mit seiner Frau suchte er ein paradiesisches Plätzchen im Osten. Es sollte nahe am Wasser und nicht allzu weit vom Wald entfernt sein. Durch Zufall kamen sie nach Glücklitz und bauten sich erst einmal ein kleines Häuschen, das aber jedes Jahr größer und gemütlicher wurde. Im Alter entwickelte Christine, die Frau von Mathias, eine Tierhaarallergie. Deswegen haben sie statt der Tiere eine Stickmaschine gekauft und eine Stickerei aufgemacht. Nun gibt es bei ihnen gestickte Tierbilder auf Bestellung: Hunde, Pferde und Katzen. Mathias macht die Entwürfe, seine Frau stickt. Nachdem wir uns kennengelernt haben, will die Glücklitzer Stickerei ihr Sortiment demnächst um Russendisko-T-Shirts mit gestickten Sternen erweitern.
Das Leben ohne Tiere fällt meinem Nachbarn nicht leicht. Manchmal geht er extra zu seinem anderen Nachbarn, um dessen Hund Cyrano zu streicheln. Und wenn Mathias bei uns sitzt, kommen alle Katzen aus dem Garten zu seinem Stuhl gelaufen. Sie spüren anscheinend die verwandte Seele.
Die meisten Tiere in unserem Dorf sind normale Haustiere: Hunde, Katzen und Hühner. Nur auf der großen Wiese zwischen der Kirche und der freiwilligen Feuerwehr kann man bei gutem Wetter ein exotisches Trio beobachten. Ein Lama, ein Esel und ein Pony weiden dort. Alle drei sehen aus, als würden sie einander schon eine Ewigkeit kennen. Ich nehme immer ein paar Zuckerstücke mit, wenn ich an der Weide vorbeigehe, denn diese Tiere machen einen etwas traurigen Eindruck – als hätten die Bremer Stadtmusikanten Insolvenz angemeldet und wären McKinsey-Haien zum Opfer gefallen. Dann wären die besten Musiker der Bremer Stadtmusikanten samt Kleidern und Musikinstrumenten an die Meistbietenden verkauft worden. Der Rest wäre hier auf der Wiese zwischen der Kirche und der freiwilligen Feuerwehr abgesetzt worden.
Ein Lama, ein Esel und ein Pony. Was machten sie bloß hier? Von Mathias habe ich irgendwann erfahren, dass sie einem Reisebüro aus dem Nachbardorf gehörten, das Wandern mit Tieren als Touristenattraktion anbot. Was konnte spannender sein, als in der Gesellschaft von drei vierbeinigen Fluchttieren eine neue Umgebung zu erkunden? Das war natürlich die dekadenteste Art, durch die Welt zu ziehen. Während Touristen in Berlin stundenlang in engen Kneipen und lärmenden Diskos ausharren müssen, um ein paar Freunde zu ergattern, bekamen sie hier in Brandenburg die Freunde gleich vom Reisebüro vermittelt und gingen in einer lustigen Gruppe wandern: ganz vorne ein Lama, dann ein Esel, dann sie und das Pony.
Wenn es nach mir ginge, würde ich jedem Berliner Touristen auch mindestens einen Esel zumuten. Solche Freundschaften können lange halten. Vielleicht melde ich mich demnächst bei diesem Reisebüro und gehe mit dem Esel um Glücklitz herum spazieren. Vielleicht kommen wir zusammen bis nach Linum, einen der berühmtesten Orte in der hiesigen Umgebung. Dieses Dorf ist dafür bekannt, dass im Sumpf hinter
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