Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
und Vater von drei Töchtern, mehr Zeit mit Vögeln und Tieren als mit Menschen verbracht. Mathias war ebenfalls kein geborener Glücklitzer, sondern ein Zugezogener aus Bayern, wo er aber auch nur ein Zugezogener gewesen war. Das Ende des vorigen Jahrhunderts, der Fall des Sozialismus, hatte große Menschenmassen in Bewegung gesetzt. Viele waren von Ost nach West und von West nach Ost gegangen in der Hoffnung auf ein besseres Leben oder aus Angst, das alte schlechte würde zurückkommen. Ein Glück, dass sich die ängstlichen und die hoffnungsfrohen nicht gegenseitig niedergetrampelt haben. Mathias hatte ursprünglich in einem Zoo in Cottbus als Elefantenpfleger gearbeitet. Er hatte schon als Kind von Elefanten geträumt und wollte sie wenigstens ein Mal sehen und berühren. Im Cottbuser Zoo konnte er das dann jeden Tag.
Nach dem Fall der demokratischen Republik war der Tierpark wie fast alle ostdeutschen Betriebe von der Treuhand restrukturiert, zermalmt und abgewickelt worden. Die besten Teile, in seinem Fall Papageien und Affen, wurden preiswert an westdeutsche Interessenten vermittelt. Der langweilige Rest – Ziegen, Ponys und Mitarbeiter – wurde entlassen und in die große weite Welt geschickt. Die Ziegen wurden von Bauern aufgenommen, die Ponys landeten auf einem Kinderreiterhof, aber der Rest der Tiere stand quasi auf der Straße. Sie schafften den Sprung in die neue wunderbare kapitalistische Tierwelt nicht. Vor allem große ältere Tiere, die besonders viel Futter brauchten und lange lebten – all die Bären, Tiger und Elefanten –, gerieten zum Kollateralschaden der Wiedervereinigung. Mathias erzählte mir immer noch erschrocken von der damaligen Situation, wie es war, als beinahe täglich Menschen in Cottbus aufkreuzten, die ihre Elefanten abgeben wollten. Elefanten leben fast so lang wie Menschen und werden im Durchschnitt sechzig Jahre alt. Sie sind Vegetarier und essen gern exotische Früchte wie zum Beispiel Bananen. Die Ostdeutschen aßen zumindest in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung ebenfalls gerne Bananen. Es hätte für die Elefanten nicht auch noch gereicht.
Obwohl so viele Jahre vergangen sind, hat Mathias alle Tiere von damals samt ihren Namen noch gut in Erinnerung. Manchmal würde er noch heute von ihnen träumen, erzählte er mir, und davon, dass irgendwelche wildfremden Menschen nun bei ihm in Glücklitz anklopften und Elefanten abgeben wollten. Im Traum erklärt er den Leuten, er sei schon längst in Rente und habe die Kraft nicht mehr, sich um so große Tiere zu kümmern. Außerdem gäbe es nicht genug Platz auf seinem Hof. Draußen stünden Autos, die Elefanten würden den Verkehr beeinträchtigen. Im Traum stritten die Leute nie mit ihm, sie hatten volles Verständnis und gingen mit ihren Elefanten weiter in den Wald.
Es gibt im Übrigen in der Nähe von Glücklitz tatsächlich und nicht im Traum einen von einem pensionierten Zirkus- oder Zoodirektor gegründeten und geführten Verein, in dem obdachlose Elefanten in Ruhe alt werden dürfen. Brandenburg hat einfach alles – ein Heim für Elefanten und auch ein Heim für Braunbären, die komischerweise keinen Winterschlaf halten, sondern sogar im Winter am Straßenrand sitzen, in der Nase bohren und über die vorbeifahrenden Autos schimpfen.
Ich habe mich immer schon gefragt, wie es Noah damals in der Arche geregelt hat, als er von jedem Tierchen ein Paar mit an Bord nahm? Wie hat er es nur geschafft, dass sich all diese Lebewesen nicht gegenseitig aufgefressen haben? Den Gesetzen der Natur zufolge sollten doch die Wölfe und die Lämmer Schwierigkeiten haben, über eine längere Zeit friedlich im gleichen Raum zu wohnen. Wenn man in einer solchen Lebensgemeinschaft dafür sorgen wollte, dass alle Wesen gut gedeihen, musste man eine Menge Ersatzlämmchen an Bord haben. Immer wieder versuchen die Menschen, hier und da eine neue Arche zusammenzustellen, und je übersichtlicher die Gegend, umso mehr Chancen auf Erfolg. Brandenburg ist ein solcher Ort, in dem alles Mögliche nebeneinander wächst und gedeiht. Auch die Menschen stören einander wenig, die Bauern und die Hells-Angels-Motorradfahrer, die Kaminfeger und Künstler, Angler und Jäger, Blumenzüchter und Elefantenpfleger. Es gibt hier Katzen und Hunde, Strauße und Pferde, Fische und Krokodile. Letztere habe ich noch nicht getroffen, aber sie verstecken sich bestimmt irgendwo. Ich habe in der regionalen Zeitung nämlich von einer pleitegegangenen Krokodilfarm
Weitere Kostenlose Bücher