Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
bewachsene Ufer und tiefes Wasser, so hatten wir es zumindest in einem Ratgeber gelesen. Doch als wir ankamen, stand an dem großen Teich kein einziger Angler, während die zwei kleinen Teiche geradezu belagert waren. Dort brummte das Leben. Viele waren mit Zelten und jeder Menge Ausrüstung angekommen. Manche Kollegen sahen aus, als hätten sie bereits ihr halbes Leben am Forellenpuff verbracht.
Die Anglergesellschaft an den kleinen Teichen fiel an diesem Wochenende stark multikulturell aus. Wir sahen eine große Zigeunerfamilie am Ufer und mehrere Russen, die laut in ihrer Heimatsprache telefonierten. Einer von ihnen wirkte sehr solide. Er hatte fünf Angeln am Ufer stehen, die mit speziellen Sensoren ausgestattet waren. Den Empfänger trug der Russe am Körper. Sollte er einen Fisch am Haken haben, würde es bei ihm in der Tasche klingeln, erklärte mir mein Freund Alexander.
»Ich rufe dich gleich zurück«, schrie der Sensoren-Russe ins Telefon. »Hier passiert gerade etwas! Ich ziehe mit beiden Händen einen Riesenfisch aus dem Wasser, muss auflegen!«
Wahrscheinlich sprach er mit seiner Frau und wollte das endlose »Wann-kommst-du-nach-Hause«-Gespräch zügig beenden. In Wirklichkeit klingelte nämlich keine einzige seiner Angeln.
Wenn alle diese Menschen beschlossen haben, ihr Glück an den kleinen Teichen zu versuchen, dann gehen wir doch zu dem großen, dachten wir und warfen dort unsere Angeln aus. Das Plakat am Ufer des großen Teiches versprach Zander, Karpfen und sogar Welse, von Forellen ganz zu schweigen. Doch in den drei Stunden, die wir am Ufer verbrachten, meldete sich kein einziger Fisch vom Plakat bei uns. Frustriert gingen wir mehrfach zu unseren Nachbarn, um nachzuschauen, wie es bei ihnen lief. Dort lief die Anglerei prachtvoll. Jeder Russe hatte inzwischen fünf Forellen gefangen, und die Zigeunerfamilie kochte bereits eine duftende Fischsuppe am Ufer. Der Russe mit den ferngesteuerten Angeln erholte sich zwischen zwei Telefonaten. Wir nutzten seine Pause und fragten ihn, was wir wohl falsch machten. Welches Geheimnis ließ die Fische nur in den kleinen unbequemen Teichen leben und den großen gemütlichen meiden? Das widersprach doch den Gesetzen der Natur. Der Russe schaute uns ungläubig an.
»Ihr habt es noch immer nicht kapiert? Die Forellen wurden heute eben in die kleinen Teiche geschmissen und nicht in den großen. Die Teichbetreiber machen, was sie wollen!«
Er nickte in Richtung des Fischladens. Auf einen Schlag wurde uns klar, warum der Forellenpuff so hieß. Du zahlst am Eingang, gehst rein und kannst dir entweder gleich einen von fremder Hand gefangenen Fisch kaufen oder deinen Jägerinstinkten folgend selbst einen angeln, der dir dafür an einer vorher verabredeten Stelle ins Wasser geworfen, wenn nicht gleich eingehakt wird. Wir waren etwas enttäuscht vom Forellenpuff.
»Ihr seid so naiv«, lachte uns der ferngesteuerte Russe aus. »Wann seid ihr überhaupt nach Deutschland gekommen? Der ganze Kapitalismus funktioniert doch wie ein Forellenpuff! Du kommst nur rein, wenn du zahlst, und du bekommst nur das, was dir hingeworfen wird. Alles ein Spiel. Und oft kannst du in diesem Puff nicht einmal richtig erkennen, ob du jetzt der Angler oder die Forelle bist«, setzte der Russe tief philosophisch hinzu.
Wir wechselten den Platz, warfen unsere Angeln neben den seinen aus und zogen ziemlich zügig die obligatorischen fünf Forellen aus dem Wasser. Die ferngesteuerten Angeln des Nachbarn lebten von Zeit zu Zeit auf. Anscheinend war eine neue Portion Fische in den Forellenpuff eingespeist worden, meinte unser Landsmann.
»Das tun sie immer zweimal am Tag. Einmal am frühen Morgen und einmal abends«, erklärte er.
Es dämmerte bereits. Die Zigeuner waren mit ihrer Suppe fertig, sie saßen am Lagerfeuer und stimmten ein langes nachdenkliches Lied über die Schwere und Unmöglichkeit eines Lebens in Freiheit an. Natürlich war das eine reine Vermutung. So genau wussten wir nicht, was die Zigeuner sangen. Vielleicht ging es in ihrem Lied auch bloß darum, wie gut Forellen an der frischen Luft schmeckten. Uns allerdings hatte die Anglerlust verlassen. Wir fühlten uns von den Puffbesitzern irgendwie verarscht, packten die Ausrüstung zusammen und fuhren nach Berlin. Die Forellen wollten wir zuerst verschenken, nahmen sie dann aber doch mit nach Hause und kochten aus ihnen eine köstliche Fischsuppe mit Thymian und geräucherten Zwiebeln, nach allen Regeln der
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