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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Hand berechnet und kalibriert. Nun riss er einen Ausdruck der Resultate ab. Die Gödel-Lösungen waren fertig.
    Und auch Ben Kamen war bereit. Im Schlaf sah er sehr jung aus, jünger als seine fünfundzwanzig Jahre. Nichts an ihm ließ erkennen, dass er ein österreichischer Jude war. In einer Hand hielt er noch immer seinen Füllfederhalter; die andere lag unter seiner linken Wange. Sein kleines Gesicht war blass.
    Rory ließ den Blick über die Assemblage schweifen: die brütende Maschine, den Jungen. Dies war der Webstuhl, wie er und Ben ihn inzwischen nannten, eine Maschine aus elektromechanischen Elementen und menschlichem Fleisch, mit der – das glaubten sie, und darauf deuteten ihre Theorien hin – man das Webmuster des Zeitteppichs verändern konnte. Und doch gehörte nichts davon ihm , Rory. Weder der Vannevar-Bush-Analysator, den sie vom MIT zur Verfügung gestellt bekommen hatten – als Studenten des Institute of Advanced Studies in Princeton waren sie unter dem Vorwand hierher nach Cambridge gekommen, mit dem Analysator komplizierte relativistische Modelle durchrechnen zu wollen –, noch der träumende Junge selbst und noch weniger das, was sich in dessen Kopf befand. Rory O’Malley besaß nur eines: den Willen , diese Komponenten zusammenzubringen und den Webstuhl sein Werk tun zu lassen.

    Rory strich Ben eine schwarze Locke aus der Stirn. Er trug seine Haare zu lang, dachte er. Ben rührte sich nicht, was Rory nicht überraschte. Das Schlafmittel, das er ihm in seinen Mitternachtskaffee getan hatte, war stark genug gewesen. Seit ihrer gemeinsamen Zeit bei den Internationalen Brigaden in Spanien mochte er Ben, den armen, tiefgründigen, gefühlsbetonten Ben. Aber er brauchte ihn auch, oder zumindest die eigentümlichen Fähigkeiten, die in diesem seinem Kopf eingeschlossen waren. Rory sah keinen großen Widerspruch in dieser Mischung aus Manipulation und Zuneigung. Es ging ihm schließlich um nichts Geringeres als um eine Reinigung der Geschichte, darum, das größte Verbrechen aller Zeiten rückgängig zu machen. Was war dagegen schon ein kleiner Trick?
    Er holte einen Fetzen Papier aus der Tasche seines Sakkos. Darauf stand ein sechzehnzeiliges englisches Gedicht, mehr schlecht als recht ins Lateinische übersetzt. Er überflog es ein letztes Mal. Dies war das zentrale Element seines Projekts, ein historischer Auftrag, befrachtet mit so viel Bedeutungsgehalt und Zielorientierung, wie er nur hineinzustopfen vermochte. Jetzt würden diese Worte in den Kosmos hinausgeschickt werden und knisternd durch Gödels geschlossene zeitartige Kurven sausen wie die Punkte und Striche des Morsealphabets durch eine Telegrafenleitung – von der Zukunft in die Vergangenheit, wo ein anderes träumendes Gehirn sie empfangen würde. Er musste Ben nur vorlesen, vorlesen wie einem Kind: die vom Analysator berechneten Gödel-Trajektorien, die holprigen
Verse. Das genügte. Und alles würde sich ändern.
    Ben bewegte sich und murmelte etwas. Rory fragte sich, wo in den vielen Dimensionen von Raum und Zeit sein Animus jetzt wohl gerade umherschweifte.
    Rory begann zu lesen. »Ach Kind! Verwoben in den Wandteppich der Zeit, und dennoch frei geboren / Cum fortia sing ich dir von dem, was ist und was sein wird …«
    Der Junge schlief neben der Rechenmaschine.
    Und dann …

II
    Julia Fiveash verführte Ben Kamen. Nein, sie verschlang ihn geradezu.
    Drei Tage nach ihrer Ankunft in Princeton verleibte sie ihn sich ein. Er hätte sie nicht aufhalten können, selbst wenn er es versucht hätte. Er war nicht mehr unschuldig, weder was Männer noch was Frauen betraf, aber nachdem sie ihn auf den Teppich seines Zimmers gestoßen und mit ihren langen englischen Gliedmaßen umschlungen hatte, kam es ihm so vor, als wäre er es bis zu diesem Moment gewesen.
    Das zweite Mal liebten sie sich im Arbeitszimmer seines Mentors, Kurt Gödel. Und Ben fing an, sich Gedanken über Julias Motive zu machen.
    Er lag auf Gödels Sofa, den Schritt züchtig mit seinem Jackett bedeckt. Julia stolzierte in unverfrorener Nacktheit in Gödels Zimmer umher, blätterte in den Papieren auf seinem Schreibtisch und strich mit ihren zarten Fingerspitzen über die Bücher auf den Borden. Viele der Bücher lagen noch in ihren Kisten, denn Gödel war noch nicht lange hier; er hatte sein geliebtes Wien nicht verlassen wollen und bis zur letztmöglichen Minute gezögert, als die Nazis bereits angefangen hatten, Europa wie einen riesigen Teppich

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