Arche
PROLOG
Drei Jahre zuvor
Hasad Arvadis Beine verweigerten den Dienst. Er hätte sich gern zur Wand geschoben, um seine letzten Minuten sitzend zu verbringen, aber er schaffte es nicht mehr. Der Steinboden war zu glatt, alle Kraft war aus seinen Armen gewichen. Sein Atem ging stoßweise. Er blieb liegen und ließ den Kopf zu Boden sinken.
Er würde sterben. Daran war nichts mehr zu ändern. Diese finstere Kammer, die seit Jahrtausenden von niemandem betreten worden war, würde sein Grab werden. Damit hatte er sich abgefunden. Trotzdem weinte er. Er war seinem Ziel, seinem Lebenstraum, so nahe gewesen! Drei Kugeln hatten alles zunichte gemacht. Nie würde er Noahs Arche mit eigenen Augen sehen. Mit durchschossenen Knien konnte er sich nicht mehr bewegen, und die Kugel in seinem Unterleib bedeutete sein sicheres Ende, und zwar bald. Und doch machten ihm die tödlichen Verletzungen weniger aus als seine bittere Enttäuschung.
Welch eine unerträgliche Ironie! Endlich hielt er den Beweis in Händen, dass es die Arche tatsächlich gegeben hatte. Nein, nicht nur gegeben hatte, sondern noch immer gab! Dass sie seit sechstausend Jahren ihrer Entdeckung harrte. Es war ihm gelungen, den letzten Schleier des Geheimnisses zu lüften, auf das er durch einen uralten, vorchristlichen Text gestoßen war.
All die vielen Jahre haben wir uns getäuscht , hatte er beim Lesen gedacht. Tausende von Jahren haben wir uns getäuscht – wie es in der Absicht derjenigen lag, die die Arche versteckt haben.
Seine Entdeckung hatte Hasad Arvadi so euphorisch gestimmt, dass er gar nicht gemerkt hatte, wie jemand eine Pistole auf seine Beine richtete. Und dann hatten sich die Ereignisse überstürzt. Ein gebrüllter Befehl, seinen Fund preiszugeben. Sein erbärmliches Flehen um Gnade. Peitschende Schüsse. Die verhallenden Stimmen seiner Mörder, die sich mit ihrer Beute davonmachten. Abgrundtiefe Finsternis.
Bei dem Gedanken, was man ihm geraubt hatte, verwandelte sich die Frustration des Archäologen in kalte Wut. Er konnte es einfach nicht zulassen, dass diese Schurken ungestraft davonkamen. Er musste die Ereignisse zu Papier bringen, musste darauf hinweisen, dass es nicht nur um die Arche Noah, sondern darüber hinaus um ein schreckliches Geheimnis ging.
Er wischte sich die blutverschmierte Hand am Ärmel ab und zog sein Notizbuch aus der Westentasche. Zweimal ließ er es fallen, so heftig zitterten seine Hände. Mit einiger Anstrengung öffnete er es. Er hoffte inständig, dass die Seite leer wäre. Es war so dunkel, dass er alles ertasten musste. Er fischte einen Stift aus einer anderen Tasche und schob mit dem Daumen die Kappe ab. In der Totenstille hörte er sie über den Boden rollen.
Das Notizbuch auf der Brust, begann Arvadi zu schreiben. Er wusste, ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Die erste Zeile ging ihm noch halbwegs gut von der Hand. Dann merkte er, wie Schock und Schmerzen ihn einholten. Die zweite Zeile fiel bereits schwer. Bei der dritten konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was er schon geschrieben hatte. Er schaffte es gerade noch, zwei Wörter zu Papier zu bringen, dann entglitt ihm der Stift. Er konnte seine Arme nicht mehr bewegen.
Tränen liefen ihm über das Gesicht. Drei Gedanken quälten ihn.
Er würde seine geliebte Tochter nie wiedersehen.
Seine Mörder waren im Besitz eines Gegenstands aus der Urzeit, der ihnen eine unvorstellbare Macht gab.
Er hatte die größte archäologische Entdeckung aller Zeiten gemacht, und er würde sterben, ohne auch nur einen Blick darauf geworfen zu haben.
HAYDEN
1. KAPITEL
Heute
Dilara Kenner wand sich durch das Gedränge. Es war Donnerstagnachmittag, und im internationalen Terminal von Los Angeles herrschte lebhaftes Treiben. Sie war um halb zwei gelandet, Passkontrolle und Zoll hatten sie eine Dreiviertelstunde gekostet. Es war ihr zehnmal länger erschienen, so gespannt war sie auf das Treffen mit Sam Watson, dem alten Freund ihres Vaters. Er hatte sie in Peru, wo sie die Ausgrabung einer Inka-Ruine in den Anden leitete, auf ihrem Mobiltelefon angerufen und gebeten, zwei Tage früher als ursprünglich geplant in die USA zurückzukehren.
Sam war eine Art Ersatzonkel für sie. Sein Anruf hatte sie überrascht. Zwar war die Verbindung zu ihm seit dem Verschwinden ihres Vaters vor drei Jahren nie ganz abgerissen, doch hatten sie in den vergangenen sechs Monaten nur ein einziges Mal miteinander gesprochen. Sam hatte verunsichert geklungen, wenn nicht sogar
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