Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
und zu, dass uns besser organisierte Menschen Vorwürfe machten. Nur weil wir zu faul seien, uns ein bisschen am Riemen zu reißen, müssten andere unsere Versäumnisse ausbaden. Früher seien alle Menschen in der Lage gewesen, hin und wieder die Küche aufzuräumen, und überhaupt sei es nur die pünktliche, gewissenhafte und zuverlässige Arbeit der Organisierten, die uns diesen schönen Schlendrian ermöglichte. Dem möchten wir ein entschiedenes «Ja, aber!» entgegenhalten.
Einerseits ist die Frage müßig, ob wir dieses liederliche Leben führen dürfen, denn viel können wir ohnehin nicht daran ändern. Und wir haben es versucht, o ja, das haben wir. LOBOs verbringen mehr Zeit als andere Menschen mit dem Versuch, sich zusammenzureißen, genau wie Übergewichtige mehr Energie ins Thema Gewichtskontrolle investieren. Es gilt allgemein als bequem, sich auf das Argument «Ich bin nun mal so!» zurückzuziehen, und zweifellos kannman durch geduldige Fördermaßnahmen die eine oder andere unterentwickelte Fähigkeit ein wenig besser ausbauen. Die Arbeit an Schwachstellen macht aber nicht nur viel weniger Spaß als der Einsatz der vorhandenen Fähigkeiten, sie ist auch nicht besonders effizient. Zum Trost haben wir hier einige Argumente pro Krastination zusammengetragen.
Wahr ist zweifellos, dass mangelnde Gewissenhaftigkeit andere belastet. Aber es belastet andere Menschen auch, wenn man einen Beruf ausübt, in dem man offensichtlich falsch und deshalb unglücklich und missmutig ist. Das gilt sowohl beim dauerhaften als auch beim vorübergehenden Versuch, eine Lebensweise anzunehmen, die im Schritt kneift. Die wenigen Stunden, in denen wir den Selbstdisziplinanforderungen unserer Umwelt voll entsprochen oder wenigstens so getan haben, hatten wir jedenfalls so unfassbar schlechte Laune, dass die daraus entstandenen Zumutungen die der Prokrastination bei weitem übertroffen haben.
Viel zu selten wird erwähnt, dass unser Organisationsdefizit an manchen Stellen ganz realen Nutzen für die Gesellschaft mit sich bringt. Es fängt damit an, dass der Staat in vieler Hinsicht von Prokrastination profitiert, vor allem bei Angestellten, die ihren Lohnsteuerjahresausgleich nicht einreichen. Nach Schätzungen des Bundes der Steuerzahler nimmt der Staat auf diese Art jedes Jahr über 500 Millionen unverdiente Euro ein. Davon lassen sich schon ein, zwei neue Buswartehäuschen bauen. Steuerschlamperei im Detail – die normalerweise dazu führt, dass der Staat und nicht der Steuerzahler profitiert – ist hier noch gar nicht eingerechnet. Banken führen Privatkonten überhaupt nur, weil es Menschen gibt, die ständig ihren Dispo bis zur Oberkante ausreizen und dafür schöne Zinsen zahlen. Würden alle Menschen klaglos ein diszipliniertes Leben führen, gäbe es keine kostenlose Kontoführung. Die Krankenversicherungsbeiträgewären noch viel höher, wenn Trägheit uns nicht daran hindern würde, mit jedem Schnupfen zum Arzt zu laufen. Die hohen Preise für Flugbuchungen zwei Stunden vor dem Start finanzieren die gerngesehenen Frühbucherrabatte. Und wahrscheinlich hat nur unpünktliche, unzuverlässige Verhütung bisher das Aussterben der Menschheit verhindert:
Als ich den Körper und seine Organe studierte (Aufbau, Funktionsweise, Funktionsausfall, Reparatur), war ich ganz gut unterwegs, ich schob alles Lernen nämlich stets nur bis zu dem Tag auf, an dem die erforderliche Seitenanzahl durch 100 dividiert die Anzahl der verbliebenen Tage bis zur Prüfung ergab. Von diesem Tag an schob ich mein Leben auf und lernte. Eine Planung, die stets tadellos zum Erfolg führte.
Ungebrochene Prokrastination ist mir nur in einem Bereich geblieben, ich kann keine Geschlechtsorgane, die habe ich konsequent die ganze Zeit über ausgelassen aus unüberwindlicher Langeweile. Sag mir Zyklus, Hormon und Spermiogenese, und ich renne wahlweise sofort schreiend davon oder schlafe unverzüglich ein.
Inzwischen habe ich zwei Kinder wegen diesem Aufschiebeverhalten, dass es nicht fünfzehn sind, ist Glück. Ich weiß nicht, an welchen Tagen man Kinder kriegt, ich weiß auch nicht, was korrekterweise zu tun ist, wenn orale Verhütungsmittel wegen Besorgungs-, Aufbewahrungs- und Erinnerungsschwäche nur tageweise zur Verfügung stehen und man in seinem Leben noch keinen korrekten Pillenmonat abspulen konnte, man es aber nur zu derart mangelhaften Notfallgefühlen bringen kann, dass auch keine anderen Verhütungsmöglichkeiten aufs Tablett
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