Dinner for One auf der Titanic
den Zugang zum türkischen Bad und den Genuss einer strammen Massage. Ich höre, Ihr Masseur soll über gottbegnadete Fingerkuppen verfügen.«
»Das wird sich einrichten lassen«, brummte Smith.
James konnte es nicht glauben. Da wurden seine Dienste gegen den Besuch eines türkischen Bades und die unsittliche Kneterei eines Masseurs verschachert. Die Arbeit eines Butlers als Lohn der Balz. Nicht zu fassen.
Trotzdem, er würde gute Miene zum bösen Spiel machen. Amerika war das Ziel, und das durfte er auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Außerdem war ja noch nicht einmal sicher, ob dieser verrückte Russe das Schiff nicht mitten auf dem Atlantik in die Luft jagte.
* * *
Überall dieser Geruch von Farbe.
Kein Wunder, schließlich war es die Jungfernfahrt der Titanic. Das Schiff hatte ja erst vor wenigen Wochen die Belfaster Werft verlassen. Selbst jetzt legten die Matrosen an Bord letzte Hand an alles, was nicht rechtzeitig vollendet werden konnte.
Patsymoon Sterlingtree konnte ihr Glück immer noch nicht fassen. Sie versicherte sich, dass sich niemand in der Nähe befand, und stieß einen Schrei aus. Geschafft!
Sie fuhr auf dem modernsten, größten, schönsten und saubersten Schiff der Welt. Auf einem schwimmenden Palast. Und sie war tatsächlich eine leibhaftige Detektivin! Wenn das ihre Schulfreundinnen aus der Klosterschule wüssten. Dabei hatte sie sich als Gesellschaftsdame beworben. Ob sie logisch denken könne, hatte man sie gefragt. Natürlich konnte sie das. Und dann ihr Vorgesetzter, dieser geheimnisvolle Jessup Finch-Meyers. Was für ein interessanter Mann! Mit seinen vierzig Jahren sicherlich im reifen Alter, aber sie konnte ohnehin nichts an jungen Männern finden. Die waren so nervös und ruppig.
Im dämmrigen Licht erkannte sie vor sich die Schemen der Kisten und Verschläge. Hier im Frachtraum mischte sich in den Geruch der Lacke etwas Muffiges.
Sie befand sich im vorderen Teil des Schiffes, und wenn sie ganz still war, hörte sie, wie der Bug der Titanic zischend das Meer zerteilte.
Ob dieser Finch-Meyers wohl verheiratet war? Ein Bild hatte sie in seiner Kabine zumindest nicht entdeckt. Aber was hieß das schon? Und warum diese merkwürdige Andeutung des Kapitäns über die Vergangenheit ihres Chefs? Was steckte dahinter?
Sie würde das schon herausfinden. Zunächst kam es darauf an, Mr. Finch-Meyers zu beweisen, dass sie keineswegs das kleine Dummchen war, für das er sie offensichtlich hielt. Jetzt hieß es, mit energischer Eigeninitiative Licht in die dunkle Vergangenheit dieser Gäste zu bringen. Sie würden das ihre tun, um die Titanic sicher in den Hafen von New York zubringen. Bis jetzt war schließlich alles glattgegangen.
Sollte dieser russische Fürst tatsächlich im Trüben fischen, dann musste sich das sicherlich an seinem Gepäck feststellen lassen. Der Zahlmeister hatte ihr eine Liste mit den vermerkten Frachtstücken überlassen. Auch der Name Balgakovs stand darauf. Was führte dieser ungehobelte Kerl so Wichtiges mit sich, dass er es nicht im Handgepäck, sondern im Frachtraum beförderte?
Ein scharfer Dunggeruch stach ihr in die Nase. Konnten Ratten dafür verantwortlich sein? Sie verglich die Gepäcknummern, die ihr der Frachtmeister aufgeschrieben hatte. Da lag die flache Kiste. »Andrej Balgakov« stand auf dem klei-nen Zettel.
Vorsichtig löste sie die Schnüre und hebelte mit einem Schraubenzieher den Deckel auf. Die Kiste war vollgestopft mit Holzwolle. Sie betastete das Innere und be-rührte eine glatte Oberfläche mit kleinen unregelmäßigen Erhebungen. Ein Ölbild! Sie erkannte es sofort.
Der Kopf einer Frau, die den Betrachter schüchtern und herausfordernd zugleich zulächelte. Patsymoon Sterlingtree schluckte. Das war doch dieses Bild, das im Pariser Louvre hing oder besser gehangen hatte und zu dem Tausende von Besuchern gepilgert waren. Mona Disa oder Visa oder so.
Eine Menge Aufregung hatte es darum gegeben. Besonders, als es eines Morgens verschwunden war. Sie wusste gar nicht, warum man so viel Geschrei um ein derartiges Ölbild machte. Aber was ging sie das an?
Und jetzt kursierten bereits Fälschungen, wenn auch von schlechter Qualität. Die Farbe bröckelte ja schon von der Leinwand! Und auch der Rahmen war verschrammt.
Sie wischte mit der Hand über das Bild und begutachtete ihre braunen Fingerkuppen. Eine wirklich schlechte Arbeit.
Kapitän Smith hatte also recht gehabt. Diese Passagiere mussten genauestens beobachtet werden.
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