Dinner for One auf der Titanic
Es war zwar nicht kriminell, aber andererseits sicher auch keine gute Reklame für die White Star Line, wenn ruchbar wurde, dass auf der Jungfernfahrt der Titanic Fälschungen in die Vereinigten Staaten geschafft wurden. Rufschädigend war das. Davor würden Mr. Finch-Meyers und sie die Titanic zu schützen wissen.
Aber sollte sie ihre Entdeckung vielleicht doch für sich behalten? Schließlich hatte sie Mr. Finch-Meyers nicht von ihrer Durchsuchung des Gepäcks informiert.
Von der Treppe her hallten Schritte durch den Frachtraum. Patsymoon Sterlingtree drückte sich hinter das chromblitzende Auto, das hier mit Seilen festgezurrt war. Selbst im matten Licht der Glühbirne erkannte sie Andrej Balgakov sofort. Wenn man vom Teufel sprach.
Er trug ein Stemmeisen und machte sich an der riesigen Kiste zu schaffen. Ein Quietschen, dann splitterndes Holz. Nur wenige Sekunden brauchte er, um das Brett auf der großen Kiste zu lösen.
Der Mann musste außer der Fälschung noch andere geheimnisvolle Fracht an Bord geschafft haben. Wahrscheinlich sollte sie Finch-Meyers doch lieber einweihen? Schließlich war er ihr Vorgesetzter. Aber wie die Eigenmächtigkeiten erklären, die sie sich herausgenommen hatte? Das förderte nicht gerade das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen.
»Na, mein Guter. Schlummerst du schön? Wirst einen mächtigen Hunger haben.«
Auch das noch. Der Russe führte Selbstgespräche. Balgakov wickelte einen blutigen Fleischfetzen aus einem Stück Zeitungspapier und warf ihn in die Kiste.
Heilige Heerscharen des Himmels. Der Mann vollzog Opferrituale! Und das auf dem modernsten Schiff der Welt. Ganz ohne Zweifel ein Besessener.
Oder gab es blinde Passagiere an Bord der Titanic, die dieser finstere Zeitgenosse dort im Geheimen mit Nahrung versorgte? Kapitän Smith würde toben. Das war so sicher, wie dieses Bild falsch war. Sie musste jetzt weiteren Schaden von der Titanic abwenden. Das war schließlich ihre Aufgabe.
* * *
James fegte mit dem Tischbesen die Krümel von der Tischdecke. Das also führte diese zickige Schrapnelle im Schilde. Er sollte hier erniedrigt und ausgebeutet werden. Aber schließlich hatte er sich als Butler einstellen lassen und war nicht als Sklave im Kongo gefangen genommen worden. Jawohl, er war Diener seiner Herrin – aber er war kein Leibeigener!
Das war typisch für diese verwöhnten Töchter aus gutem Hause. Spielten ganz selbstverständlich mit dem Schicksal anderer Menschen. Vorne an der Stirnseite des Speisesaals der ersten Klasse spielte sich das Streichertrio warm. Ein Stück von Tschaikowski wurde geprobt. Zumindest hatte es Ähnlichkeit damit.
James dachte an seine Mutter, die ihm zur Nacht auf der Geige immer mit einem Stück in den Schlaf gespielt hatte. Damals war die Welt noch ein großes Wunder, das es zu entdecken galt. Jetzt war er schon beinah auf der Flucht.
Der erste Geiger, der gleichzeitig mit seinem Bogen dirigierte, klopfte auf den Notenständer und schüttelte den Kopf.
»Adagio, meine Herren, adagio. Wir befinden uns in einem finsteren Wald, gleich kommen die Elfen ...«
»Und die Steaks«, brummte ein Musiker dazwischen.
»Mullet, ob Speisesaal oder Royal Albert Hall, wir geben unser Bestes, nicht wahr?«
Sein Bestes geben! James ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. Er fühlte sich wie ein Aussätziger. Nicht nur, dass der Tisch deutlich abseits in eine Nische des Speisesaals gerückt worden war, nein, er sollte diesem Abschaum des Schiffes auch noch servieren. Eine unseriöse Gesellschaft. Zu bedeutend, um ihnen die Passage zu verweigern, zu zwielichtig, um sie unbeaufsichtigt unter anständige Menschen zu lassen.
James blickte hinüber zur Tür. Dezent wurde der Vorhang zugezogen. Ja, das hatte er schon vor einer Viertelstunde bemerkt. Obwohl sich noch niemand eingefunden hatte, wurden sie bereits beobachtet.
»Nun, James, verraten Sie mir, was dieses Gemurmel zubedeuten hat?
«James sprang vom Stuhl.»Ich habe im Geiste die Gäste gezählt und ...«
»Vier James, sind sie wohl so weit gekommen?«
»Miss Sophie, ich ...«
»James, der Champagner an Bord erfreut sich zwar nur eines mittelmäßigen Charakters, der zudem noch durch diese lästige Schaukelei in Mitleidenschaft gezogen wird, dennoch wäre es sicher eine famose Idee, eine Flasche davon bereitzustellen.«
»Sehr wohl, Mylady.«
Wenn er sie Mylady nannte, wurde sie immer eine Spur sanfter.
»Und James ...«, sagte sie.
»Ja?«
»Wir erwarten ein gutes
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