Dinner for One auf der Titanic
Wenn nur sein verdammter Rücken nicht so empfindlich wäre.
Miss Sophie lief zu Höchstform auf.
»Willkommen in unserer Zitadelle der tausend Geheimnisse. Unser guter James wird uns vor eventuellen Anschlägen des Kochs bewahren.«
»Anschläge?«, fragte Balgakov und schnellte in die Höhe.
»Nun, Sauerkraut und Eisbein zum Beispiel.«
»Es gibt einen deutschen Koch an Bord?«
Mr. Smooth Gentle verzog das Gesicht.
»Die Deutschen essen Schweinefüße?«, erschauderte er.
»Eine Spezialität aus den Wäldern Germaniens, auf dessen Goutierung wir verzichten wollen. Wo die Eingeborenen des Kontinents über abgehärtete Verdauungsorgane verfügen, arbeitet bei uns Briten ein Magen.«
Der russische Fürst mit seiner Bombe blinzelte James zu. Auch das noch!
James blickte zu dem kahlköpfigen Mann hinüber, der in einigem Abstand betont gleichgültig in der Times blätterte. Gott sei Dank, der Mann hatte diese Vertraulichkeit nicht mitbekommen. Fehlte noch, dass der Geheimdienst falsche Schlüsse daraus zog.
James holte aus dem Gang vor der Kombüse seinen Servierwagen. Die Vorspeisen waren darauf akkurat angeordnet. Heute hatte er nur für vier Personen zu servieren.
In Calvados glasierten Entenbraten mit Apfelsoße sollte es als Hauptgang geben. Doch zunächst wurden die Austern à la Russe und die Consommé Olga serviert. Spargelsalat mit Champagner-Safran-Vinaigrette sowie die Kiebitzeier standen in der Küche ebenfalls bereit.
Kapitän Smith, der sich einen Platz an diesem Tisch »gesichert« hatte, wie Miss Sophie genussvoll verkündete, war verhindert. Wahrscheinlich stand er mit einer Bullenpeitsche hinter den Heizern. Tief unten im Bauch des Schiffes.
Die Satzfetzen, die James während des Servierens wahrnahm, waren äußerst beunruhigend.
»Ist es nicht erstaunlich, dass wir gleich bei unserem ersten Dinner über die Liebe sprechen«, sagte Dr. Breastsucker.
»Erstaunlich«, sagte Miss Sophie. »Und Sie sind sicher, dass es damit zusammenhängt, dass wir die Mutter nicht vergessen können?«
James spürte wieder diesen Stich in der Brusttasche. Das Bild seiner Mutter trug er auch während seiner Arbeit bei sich. War diesen Menschen denn gar nichts heilig?
»Dekadentes Salongeschwätz einer untergehenden Klasse«, sagte Balgakov und schmatzte mit halb geöffnetem Mund seine Spargelspitzen. Miss Sophie zerteilte ihren Spargel mit virtuos geführtem Messer in kleine Scheibchen.
»Teuerster Fürst. Mir ist verständlich, dass die unteren Klassen eher über triebhafte ...«
»Manische oder besser vielleicht Animalische«, sagte Dr.Breastsucker.
»Nun gut, über animalische Begierden verfügen. In den höheren Schichten sind wir uns unserer Verantwortung der Gesellschaft gegenüber bewusst und haben zumindest ein paar handfeste Neurosen aufzubieten«, sagte sie.
Dr. Breastsucker verschluckte sich an einem Petersiliensträußchen.
»Ja«, sagte Miss Sophie und legte eine weitere Spargelstange für ihren nächsten chirurgischen Angriff bereit.
»Liebe ist unanständig, also reden wir über die Liebe.«
Sie kicherte.
»Sie tun der Liebe unrecht, sie ist das Zarteste und Revolutionärste, was in unserem Leben passieren kann. Sie ist eine ...«
Dr. Breastsucker malte einen Kreis in die Luft.
»Eine Form der Geisteskrankheit, die Gott sei Dank vorübergeht«, sagte Mr. Smooth Gentle.
Dr. Breastsucker zupfte an seinem Ohrläppchen.
»Sie ist nichts Geringeres als eine Revolution der Gefühle.«
»Ausgerechnet Sie reden über Revolution?«, brüllte Balgakov. »Ihr psychologischer Brei ist nichts als Schleim in den Augen der unterdrückten Klassen. Und ich meine Schleim und nicht etwa ...«
»Aber meine Herren«, sagte Miss Sophie und lächelte.
»Auch die unteren Klassen müssen für ihre Vermehrung sorgen, nicht wahr? Wo kämen wir hin, wenn die mir nichts, dir nichts ausstürben? Wer soll da die Handreichungen fürs Grobe erledigen?«
»Liebe, zartester Austausch, das Erblicken neuer Horizonte, nun das ist in den Tiefen unsere Seele festgelegt. Da sind Triebstrukturen am Werke, die uns die entscheidende Richtung geben«, sagte Dr. Breastsucker.
»Hört, hört«, sagte Balgakov. »Gleich kommt er mit dem fehlenden Schwa ...«
»Penisneid«, sagte Dr. Breastsucker. Miss Sophie verschluckte sich, und James beeilte sich, aus der Küche eine neue Serviette herbeizuschaffen. Das konnte ja heiter werden. Die warfen sich ihre Schweinereien um die Ohren, und er musste um seine Pläne, ja um
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