Dirty
Mutter.“ Ich meinte das finanziell gesehen. Sie dagegen sprach von Maniküre und Kosmetikbehandlungen.
„Ella.“ Ihr Seufzen am anderen Ende klang sehr laut. „Du könntest so hübsch sein …“
Während sie sprach, sah ich in den Spiegel und betrachtete das Gesicht einer Frau, die meine Mutter nicht kannte. „Mutter. Es reicht. Ich lege auf.“
Ich stellte mir vor, wie sie ihren Mund verzog, weil ihre einzige Tochter sie unfair behandelt hatte. „Gut.“
„Ich rufe dich bald an.“
Sie schnaubte. „Vergiss nicht, dass du mich bald besuchen wolltest.“
Allein bei der Vorstellung tat sich ein Abgrund vor mir auf. „Ja, ich weiß, aber …“
„Du musst mit mir zum Friedhof gehen, Ella.“
Die Frau in dem Spiegel sah erschrocken aus. Dabei war ich gar nicht erschrocken. Ich fühlte gar nichts. Egal was mein Spiegelbild zeigte.
„Ich weiß, Mutter.“
„Bilde dir nicht ein, dass du dich dieses Jahr wieder herausreden kannst …“
„Auf Wiederhören, Mutter.“
Während sie noch weiterquakte, legte ich auf und wählte umgehend eine andere Nummer. „Marcy, hier ist Elle.“
Marcy reagierte Gott sei Dank erfreut, als ich ihr Angebot annahm, mit ihr nach der Arbeit auszugehen. Und genau diese Reaktion brauchte ich. Bei zu viel Begeisterung hätte ich es mir vielleicht noch einmal anders überlegt, bei zu wenig gleich alles wieder zurückgenommen.
„ Blue Swan“ , sagte sie mit fester Stimme, als würde sie mir die Hand reichen, um mir über eine schwankende Brücke zu helfen. Und im Grunde war es auch so. „Kleiner Laden, aber die Musik ist gut, und die Leute sind ganz unterschiedlich. Außerdem ist es nicht zu teuer und kein Anmach-Schuppen.“
Wie süß von ihr, dass sie nach wie vor glaubte, ich hätte Angst vor Männern. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich früher einmal mit vier verschiedenen Männern in ebenso vielen Tagen geschlafen hatte. Sie wusste nicht, dass es nicht der Sex war, vor dem ich mich fürchtete. Ihre Freundlichkeit ließ mich lächeln, und wir beschlossen, am Freitag nach der Arbeit dorthin zu gehen. Warum ich meine Meinung geändert hatte, wollte sie gar nicht wissen.
Ich legte auf und starrte noch immer die Frau im Spiegel an. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Sie tat mir leid, diese Frau mit dem dunklen Haar, diese Frau, die immer nur Schwarz und Weiß trug. Die hätte hübsch sein können, wenn sie nur mehr auf sich geachtet hätte, wenn sie nur nicht so intelligent wäre und so viel Geld verdiente. Sie tat mir leid, aber ich beneidete sie, weil sie zumindest weinen konnte und ich nicht.
2. KAPITEL
Eine Gestalt in Schwarz erwartete mich, als ich am frühen Donnerstagabend, ausnahmsweise zeitiger als sonst, von der Arbeit kam. Schwarzes Sweatshirt, die Kapuze über das schwarz gefärbte Haar gezogen. Schwarze Jeans und Turnschuhe. Schwarz lackierte Fingernägel.
„Hi Gavin.“ Ich steckte den Schlüssel ins Schloss, und er stand auf.
„Hi Miss Kavanagh. Kann ich Ihnen beim Tragen helfen?“
Er nahm mir die Tüte aus der Hand, bevor ich protestieren konnte, und folgte mir hinein. Dort hängte er sie ordentlich an den Haken neben der Tür. „Ich bringe Ihnen Ihr Buch zurück.“
Gavin wohnte nebenan. Seine Mutter hatte ich noch nicht kennengelernt, aber ich sah sie oft, wenn sie zur Arbeit ging. Und ich hörte gelegentlich Stimmen durch die Wand, weshalb ich meinen Fernseher auch nie zu laut stellte.
„Hat es dir gefallen?“
Er zuckte mit den Schultern und legte das Buch auf den Tisch. „Nicht so gut wie das erste.“
Ich hatte ihm Der Ritt nach Narnia von C. S. Lewis ausgeliehen. „Viele Leute haben nur Der König von Narnia gelesen, Gav. Möchtest du das nächste auch?“
Der fünfzehnjährige Gavin sah aus wie ein typischer Möchtegern-Gothic mit seinen Jack-Skellington-Klamotten und dem dick aufgetragenen Kajal. Dabei war er ein ganz netter Junge, der gerne las und viele Freunde zu haben schien. Vor etwa zwei Jahren tauchte er an meiner Tür auf, um zu fragen, ob er meinen Rasen mähen dürfe. Da ich nur ein kleines Stückchen Rasen von der Größe eines Kleinwagens habe, brauchte ich eigentlich keinen Gärtner. Weil er so ernsthaft wirkte, heuerte ich ihn aber trotzdem an.
Inzwischen half er mir dabei, Tapeten herunterzureißen und den Boden abzuschleifen, und er lieh sich Bücher aus. Er war still, höflich und viel fröhlicher, als ein Gothic-Kid eigentlich sein dürfte. Und er war sehr geschickt darin, den
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