Dirty
darüberstreichen. Es war mir egal, dass meine Bluse und mein Haar nass wurden.
Ich hatte mich in aller Öffentlichkeit selbst befriedigt, mir dabei sein Gesicht vorgestellt und kannte noch nicht mal seinen Namen.
Zumindest linderte diese Soloeinlage in einem öffentlichen Verkehrsmittel ein wenig meine Sehnsucht. Nun konnte ich mich wieder auf die Zahlen konzentrieren, die mit wunderbarer Zuverlässigkeit meine Gedanken ausfüllten. Ich stürzte mich in die Arbeit und übernahm von Bob Hoover einige wichtige Kunden. Er selbst war viel zu sehr damit beschäftigt, sich von Mr. Flynns Sekretärin einen blasen zu lassen.
Mir machte das nichts aus. Es bot mir die Möglichkeit, meinen Vorgesetzten zu beweisen, dass ich meinen Titel, mein Eckbüro und meine zusätzlichen Urlaubstage verdiente. Und ich musste keine Gründe erfinden, um länger im Büro zu bleiben, statt nach Hause in meine leere Wohnung oder in eine Bar zu gehen und meine Willenskraft zu erproben.
„Sex“, verkündete Marcy beim Mittagessen, “ist wie dieses Schokoladen-Éclair.“ Versonnen drehte sie eines der kleinen länglichen Dinger zwischen ihren Fingern.
Mir hatte sie einen Doughnut mit Puderzucker mitgebracht. „Du meinst: voller Sahne, und hinterher würde man sich am liebsten übergeben?“
Sie verdrehte die Augen. „Himmel, was für eine Art von Sexleben führst du eigentlich, Elle?“
„In letzter Zeit gar keines.“
„Ich bin schockiert.“ Ihr Ton bewies das Gegenteil. „Aber kein Wunder, bei dieser Einstellung.“
Marcy hatte zwar eine unmögliche Frisur und einen furchtbaren Klamottengeschmack, aber sie konnte mich zum Lachen bringen. „Dann erklär du mir, warum Sex wie dieses Eclair ist.“
„Zum einen ist es verführerisch genug, um dich alles andere vergessen zu lassen.“ Sie leckte etwas Schokolade von dem Gebäck. „Und zum anderen ist das gut so, weil es einen glücklich macht.“
Ich rutschte auf meinem Stuhl ein wenig nach hinten und betrachtete sie. „Ich vermute, du hattest letzte Nacht Sex?“
Als sie ein unschuldiges Gesicht aufsetzte, wurde mir etwas klar: Ich mochte sie. Sie klimperte mit den Wimpern. „Wer? Diese kleine Alte hier?“
„Ja, du.“ Ich legte den Doughnut zurück in die Schachtel und nahm stattdessen das letzte Éclair. „Und du kannst es kaum erwarten, mir davon zu erzählen. Also hör auf, Zeit zu verschwenden und leg los, bevor wieder ein Kollege reinkommt und wir dann so tun müssen, als ob wir über die Arbeit sprächen.“
Marcy lachte. „Ich war mir nicht sicher, ob du es hören willst.“
Ich musterte sie. „So denkst du von mir, nicht wahr? Du glaubst, dass ich Sex nicht mag?“
Sie blickte mich über ihren schokoladenverklebten Teller an, mit ernstem Lächeln und einem etwas merkwürdigen Ausdruck in ihrem Blick. Etwas wie Mitleid. Ich runzelte die Stirn.
„Ich weiß nicht, Elle. Dazu kenne ich dich nicht gut genug, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass du eigentlich nichts besonders magst, von deiner Arbeit mal abgesehen.“
Etwas zu hören, was man sowieso weiß, sollte eigentlich keine Überraschung sein, und doch ist es meist so. Ich wollte etwas entgegnen, doch plötzlich war mein Hals wie zugeschnürt, Tränen brannten in meinen Augen. Ich blinzelte sie weg und legte eine Hand auf meinen Magen, der sich bei ihren Worten zusammengezogen hatte.
Marcy war trotz ihres Auftretens als naive Blondine alles andere als dumm. Sie drückte meine Hand, bevor ich sie wegziehen konnte, und ließ sie schnell wieder los.
„Hey“, sagte sie sanft. „Ist schon gut. Wir alle haben unsere Probleme.“
Genau in diesem Moment hatte ich die Chance, Marcy als Freundin zu gewinnen. Als wirkliche Freundin. Ich habe schon so oft kurz vor etwas gestanden, und fast immer war ich zurückgeschreckt. Sobald die Wahrheit eine Tür öffnen konnte, log ich. Sobald ein Lächeln eine Verbindung tiefer werden lassen konnte, wandte ich das Gesicht ab.
Aber dieses Mal, überraschend für mich und wahrscheinlich auch für sie, tat ich es nicht. Ich lächelte sie an. „Erzähl mir von deinem Date gestern Abend.“
Und das tat sie. So detailliert, dass ich rot wurde. Das war die schönste Mittagspause, die ich je hatte.
Als es Zeit war, zurück in unsere Büros zu gehen, hielt sie mich kurz zurück. „Ich finde, du solltest irgendwann mal mitkommen.“
Ich gestattete ihr, wieder meine Hand zu drücken, weil sie so ernsthaft wirkte und weil wir so viel Spaß miteinander hatten.
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