Diva (DE)
Feuerwerk zum Vierten Juli explodiert.
Während dieser ganzen Montagesequenz ist die wirkliche Miss Kathie abwesend. Ab und zu verweilt die Kamera auf einer abgelegten Zeitung, auf einer Fotografie von Miss Kathie, wie ihr Webster Carlton Westward III beim Aussteigen aus einer Limousine hilft. Daneben fettgedruckt ihr Name in den Klatschkolumnen von Sheilah Graham oder Elsa Maxwell . Ein weiteres Foto, wie die zwei in einem Nachtklub tanzen. Ansonsten ist das Stadthaus leer.
Meine Hand nimmt die nächste Trophäe, eine Heldenstatuette, die Muskeln an Armen und Beinen so klein und nackt wie ein Kind, das Miss Kathie nie hatte, und ich massiere das Gesicht, ohne zu drücken, damit der dünne Goldbelag, dieser schwache Schimmer, so lange wie möglich erhalten bleibt.
1. AKT, NEUNTE SZENE
»Die raffiniertesten Komplimente«, schrieb der Dramatiker William Inge einmal, »schmeicheln dem, der sie macht noch mehr als dem, der sie empfängt.«
Wieder blenden wir über zu einer Rückblende. Zunächst ein rascher Schwenk, der alles verwischt, dann abbremsen und mit dem Kamerakran langsam über Tische fahren, runde Tische, an denen Gäste sitzen. Das Funkeln aller Augen ist auf eine weit entfernte Bühne gerichtet; das Glitzern und Leuchten von Diamantketten und strahlend weißen Smokinghemden spiegelt das ferne Rampenlicht wider. Wir bewegen uns über diese ausgedehnte Fläche aus weißen Tischtüchern und Silberbesteck allmählich auf die Bühne zu. Alle Schultern drehen sich, wenden sich einem Mann zu, der auf dem Podium steht. Das Bild gewinnt an Schärfentiefe, und wir sehen den Redner, Senator Phelps Russell Warner , hinter dem Mikrofon stehen.
Den Hintergrund der Bühne bildet eine Leinwand, auf der ein Schwarzweißfilm läuft. Katherine Kenton erscheint in einem eng geschnürten Ballkleid aus Seide als Mrs. Ludwig van Beethoven und spricht einige Worte. Während ihr Mann, Spencer Tracy , im Hintergrund schnarcht, sitzt sie über eine Pergamentrolle gebeugt, einen Federkiel zwischen den blauen Fingern, und beendet die Partitur seiner Mondscheinsonate . Ihr kolossales Gesicht, archiviert auf dem Silbernitratfilm, leuchtet blendend hell. Ihre Augen blitzen. Ihre Zähnen sind grellweiß.
Die Gesichter des Publikums sind in Chiaroscuro getaucht, halb verloren in der Dunkelheit, halb verloren im Gleißen des Rampenlichts. Die Leute haben sich in diesem Augenblick selbst vergessen und existieren nur noch für den Mann auf der Bühne und seine Stimme. Das Donnergrollen der über Mikrofone und Lautsprecher verstärkten Senatorenstimme; diese dröhnende Stimme sagt: »Sie dient uns als strahlendes Licht, das uns anderen Sterblichen in Ewigkeit vorangeht …«
Auf der Leinwand sehen wir meine Miss Kathie in einem hochgeschlossenen Kostüm mit Wespentaille in der Rolle der Mrs. Alexander Graham Bell , sie schiebt ihren Mann, James Stewart , mit dem Ellbogen beiseite, um am Zweitanschluss des Telefons heimlich der Stimme von Mickey Rooney zu lauschen. Auf ihrer Gibson-Girl-Frisur sitzt ein mit Reiherfedern geschmückter Florentinerhut.
Das war in dem Jahr, als jeder zweite Song im Radio »Happiness Is Just a Thing Called Joe « von Doris Day und dem Bunny Berigan Orchestra war.
Kein einziges Gesicht im Publikum zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Trotz ihrer Perlenketten und Frackschleifen wirken die Leute alle so gewöhnlich wie alte Charakterdarsteller, Statisten, die froh sind, wenn sie eine Szene im Sitzen drehen können.
Der Senator am Mikrofon fährt fort: »Ihr nobler Sinn und ihr unermüdliches Wirken sind uns ein Vorbild für unsere höchsten Bestrebungen…« Seine Stimme klingt tief und fest wie die eines Harry Houdini oder Franz Anton Mesmer .
Dieses Geschwätz ist ein weiteres Beispiel für das, was Walter Winchell mit dem Ausdruck »Toastwichsen« bezeichnet hat. Oder Hedda Hopper mit »Lobhurerei«. Oder Louella Parsons mit »Goldlack auftragen«.
Der Senator wendet den Kopf zur rechten Bühnenseite und sagt: »Sie kommt in unsere graue Welt wie ein Engel aus einem künftigen Zeitalter, wo Angst und Dummheit überwunden sind …«
Die Kamera folgt seinem Blick und zeigt Miss Kathie und mich in den Kulissen, ihre veilchenblauen Augen sind auf den Senator im Rampenlicht gerichtet. Er im schwarzen Smoking. Sie in einem weißen Kleid, eine bleiche Hand auf ihr Herz gepresst. Einsatz für den Lichtwechsel, Führungslicht runterfahren, Fülllicht aufhellen und Miss Kathie in den Kulissen isolieren.
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