Doch die Sünde ist Scharlachrot
also lachte er halbherzig. Er wartete darauf, dass sie weiterging. Aber das tat sie nicht.
»Ich gehe was essen«, erklärte er.
Sie schaute auf die Uhr. »Ziemlich spät, oder?«
»Ich hatte bis eben keinen Hunger.«
»Aber jetzt schon?«
»Ein bisschen, ja.«
»Kommen Sie mit!«
Sie ging zur Treppe, stieg aber nicht hinab. Stattdessen wandte sie sich nach oben, und als er nicht umgehend folgte, drehte sie sich um. »Kommen Sie mit, Cadan«, forderte sie ihn erneut auf. »Ich beiße nicht. Wir haben oben eine Küche, und da zaubere ich irgendetwas für Sie.«
»Oh. Ist schon okay«, wehrte er ab. »Ich wollte gerade zum Toes …«
»Seien Sie nicht albern! Das hier geht schneller, und es kostet nichts.« Sie lächelte versonnen. »Jedenfalls kein Geld. Nur Gesellschaft. Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann.«
»Vielleicht Kerra …«
»Sie ist nicht hier. Und mein Mann ist ebenfalls verschwunden. Alan hat sich mit seinem Telefon im Büro verbarrikadiert. Kommen Sie, Cadan.«
Er rührte sich nicht vom Fleck, und ihre Augen verdunkelten sich. »Sie müssen essen, und ich muss reden. Wir tun uns gegenseitig einen Gefallen.« Und als er sich immer noch nicht bewegte, weil ihm einfach nicht einfiel, wie er sich aus dieser Situation befreien konnte, fügte sie hinzu: »Ich bin die Frau Ihres Chefs. Ich glaube, Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, als meiner Bitte zu folgen.«
Obwohl er mitnichten amüsiert war, lachte er leise. Es schien ihm tatsächlich nichts anderes übrig zu bleiben, als mit ihr nach oben zu gehen.
Sie stiegen die Treppe hinauf und gelangten in die Wohnung der Kernes. Sie war großzügig bemessen, aber bescheiden möbliert, in einem Stil, der einmal Dänisch modern geheißen hatte, heute aber eher Dänisch retro war. Sie führte ihn durchs Wohnzimmer in die Küche, wo sie auf den Tisch wies und ihn aufforderte, daran Platz zu nehmen. Dann schaltete sie das Radio auf der makellosen weißen Arbeitsplatte ein und fingerte an den Knöpfen herum, bis sie einen Sender gefunden hatte, der ihr zuzusagen schien. Er spielte Tanzmusik – Swing. »Das ist hübsch, oder?«, fragte sie und drosselte die Lautstärke. »Also.« Sie stemmte die Hände in die Seiten. »Was darf's sein, Cadan?«
Das war genau die Art Frage, wie man sie aus Filmen kannte: eine Mrs.-Robinson-Frage, während der arme Benjamin in Gedanken immer noch mit Nichtigkeiten beschäftigt war. Und Dellen Kerne war ein Mrs.-Robinson-Typ, kein Zweifel. Sie war zugegebenermaßen ein bisschen aus dem Leim gegangen, aber auf eine üppige Art und Weise. Sie hatte die Kurven, die man bei jüngeren Frauen nie sah, die davon besessen waren, wie Models auszusehen, und mochte ihre Haut auch von zu viel Sonne und Nikotin gefurcht sein, machte die Flut blonder Haare das doch wett. Genau wie ihr Mund, dessen Lippen so voll waren, als wären sie aufgespritzt.
Cadan reagierte auf sie. Es kam ganz unwillkürlich. Er war zu lange enthaltsam gewesen, und jetzt strömte auf einmal zu viel Blut in die falsche Richtung. Er stammelte: »Ich war … ich meine … ich wollte … Thunfisch und Mais.«
Sie schürzte die vollen Lippen. »Ich denke, das bekommen wir hin.«
Ihm wurde vage bewusst, dass Pooh sich rastlos auf seiner Schulter bewegte, die Klauen ein bisschen zu tief in sein Fleisch grub. Er musste den Vogel loswerden, aber er wollte ihn ungern auf eine Stuhllehne setzen, denn wenn er von Cadans Schulter genommen wurde, verstand er das gern als Aufforderung, eine Ladung abzusetzen. Cadan schaute sich nach einer Zeitung um, die er für den Fall der Fälle unter den Stuhl legen konnte. Eine ältere Ausgabe des Watchman lag auf der Anrichte. »Darf ich?«, fragte er Dellen. »Ich muss Pooh absetzen, und wenn ich die hier auf den Boden legen könnte …«
Sie war im Begriff, eine Dose zu öffnen. »Für den Vogel? Ja, sicher.« Und als er das Zeitungspapier ausgebreitet und Pooh auf der Stuhllehne postiert hatte, fügte sie hinzu: »Ein ungewöhnliches Haustier.«
Cadan glaubte nicht, dass sie eine Antwort erwartete, aber er sagte dennoch: »Papageien können achtzig Jahre alt werden.« Die Antwort schien alles zu sagen: Ein Haustier, das achtzig Jahre alt wurde, ließ einen nie allein. Und es bedurfte keines Psychologen, um zu ergründen, was das über den Halter verriet.
»Ja«, erwiderte Dellen. »Achtzig. Ich verstehe.« Sie warf ihm einen Blick zu, und ihre Mundwinkel bebten, als sie lächelte. »Ich hoffe, er wird wirklich
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