Doctor Sleep (German Edition)
ist dein Lieblingstop. Los, mach dich auf die Socken!«
Aber er zögerte, die Mundwinkel zu einem Grinsen verzogen. »Schnüffelt die kleine Klapperschlange eigentlich immer noch vor deiner Tür herum, Schatz?«
Sie griff nach unten und drückte unterhalb seines Gürtels kurz zu. »Ach, du jemine! Bist du etwa eifersüchtig?«
»Schon möglich.«
Das bezweifelte sie zwar, war jedoch trotzdem geschmeichelt. »Die ist jetzt mit Sarey zusammen, und die beiden sind ausgesprochen glücklich. Aber da wir schon über Andi sprechen, die kann uns helfen. Du weißt schon, wie. Sag allen Bescheid, aber sprich zuerst mit ihr.«
Nachdem er gegangen war, verriegelte sie die Tür der Wohnkabine, ging ins Fahrerhaus und ließ sich auf die Knie nieder. Sie schob die Finger unter den Teppichboden zwischen dem Fahrersitz und den Pedalen. Ein Streifen löste sich. Darunter kam eine rechteckige Metallklappe mit einer kleinen Tastatur zum Vorschein. Rose tippte die Zahlen ein, und der Safe sprang ein kleines Stück weit auf. Sie klappte die Tür ganz auf und sah hinein.
Zwölf, vielleicht auch fünfzehn volle Flaschen. Das hatte Crow geschätzt, und obwohl sie die Gedanken von Mitgliedern der Wahren nicht so lesen konnte wie die von Tölpeln, war Rose sich sicher, dass er die Lage bewusst schöngefärbt hatte, um sie aufzumuntern.
Wenn er nur wüsste, dachte sie.
Der Safe war mit Styropor ausgekleidet, um die Stahlflaschen bei einem Autounfall zusätzlich zu schützen, und es gab vierzig fest eingebaute Fächer. An diesem schönen Maivormittag in Kentucky waren siebenunddreißig der Flaschen in den Fächern leer.
Rose nahm einen der drei verbliebenen vollen Flaschen heraus und hob sie in die Höhe. Sie war leicht; hätte man sie in der Hand gewogen, so hätte man vermutet, dass sie ebenfalls leer war. Sie schraubte die Kappe auf, untersuchte das Ventil darunter, um sich zu vergewissern, dass die Versiegelung noch intakt war, und klappte den Safe wieder zu. Dann trug sie die Flasche in die Wohnkabine und stellte sie – fast ehrfürchtig – auf das Schränkchen, auf dem ihr zusammengefaltetes Top gelegen hatte.
Nach der kommenden Nacht würden nur noch zwei übrig sein.
Sie mussten irgendwo eine große Steam-Quelle auftun, um wenigstens ein paar von den leeren Flaschen aufzufüllen, und das musste bald geschehen. Die Wahren standen zwar nicht mit dem Rücken zur Wand, noch nicht ganz jedenfalls, aber die Wand war nur noch wenige Zentimeter entfernt.
3
Der Besitzer vom Kozy Kampground und seine Frau lebten in ihrem eigenen Wohnwagen. Das Ding stand permanent auf angemalten Betonblöcken. Nach dem regnerischen April waren viele Maiblumen gesprossen, und der Vorgarten von Mr. und Mrs. Kozy war voll davon. Andrea Steiner blieb einen Augenblick stehen, um die Tulpen und Stiefmütterchen zu bewundern, bevor sie die drei Stufen zur Tür des großen Redman-Domizils erklomm und klopfte.
Nach einer ganzen Weile machte Mr. Kozy auf. Er war ein kleiner Mann mit einem dicken Bauch, der momentan von einem hellroten Trägerunterhemd umhüllt war. In der einen Hand hielt er eine Dose Pabst Blue Ribbon, in der anderen eine mit Senf beschmierte Bratwurst in einer Scheibe schwammigem Weißbrot. Weil seine Frau gerade im anderen Zimmer war, nahm er sich ein wenig Zeit, die junge Frau vor ihm zu beglotzen, vom Pferdeschwanz bis zu den Sneakers. » Was gibt’s?«
Nicht wenige Mitglieder der Wahren besaßen ein gewisses Schläfertalent, aber Andi war darin bei Weitem am besten, weshalb ihre Umwandlung für den Knoten ein gewaltiger Glücksfall gewesen war. Sie nutzte ihre Fähigkeit immer noch gelegent lich, um die Geldbörse gewisser älterer Tölpel mit Gentleman-Allüren zu erleichtern, die von ihr magisch angezogen wurden. Rose fand das riskant und kindisch, wusste jedoch aus Erfahrung, dass das, was Andi als ihre Probleme bezeichnete, mit der Zeit von selbst abklingen würde. Das einzige Problem des Wahren Knotens war, zu überleben.
»Ich hab bloß eine kurze Frage«, sagte Andi.
» Wenn’s hier um die Toiletten geht, Schätzchen – der Kackesauger kommt erst Donnerstag.«
»Nein, darum geht es nicht.«
» Worum dann?«
»Sind Sie denn nicht müde? Wollen Sie nicht vielleicht einschlafen?«
Mr. Kozy schloss sofort die Augen. Bier und Bratwurst fielen ihm aus den Händen und versauten den Teppich. Na ja, dachte Andi, Crow hat dem Kerl zwölfhundert in den Rachen geworfen, da kann er sich schon eine Flasche Teppichreiniger leisten.
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