Doctor Sleep (German Edition)
fünfzig Jahren wären die Leute freundlicher gewesen. Das ist ein Mythos, und ich will nicht, dass du so was verbreitest. Die Leute sind so schon nervös genug.«
»Du solltest eigentlich wissen, dass ich mit so was nicht hausieren gehe. Aber ich glaube nicht, dass das ein Mythos ist, mein Schatz. Wenn man darüber nachdenkt, ist es durchaus plausibel. Vor fünfzig Jahren war mehr von allem da – Öl, wilde Tiere, Ackerland, saubere Luft. Es gab sogar ein paar ehrliche Politiker.«
»Ja!«, rief Rose. »Richard Nixon, erinnerst du dich noch an den? Der Tölpel par excellence?«
Aber er ließ sich nicht davon abbringen, diese falsche Spur zu verfolgen. Selbst wenn es Crow ein wenig an Weitblick mangelte, war er nur selten unkonzentriert. Deshalb war er auch ihr Stellvertreter. Womöglich hatte er sogar nicht einmal unrecht. Wer konnte schon mit Sicherheit sagen, dass die Zahl der Menschen, die als geeignete Nahrung für die Wahren infrage kamen, nicht ebenso abnahm wie die Zahl der Thunfischschwärme im Pazifik?
»Du solltest wirklich eine der Steam-Flaschen öffnen, Rosie.« Er sah, wie ihre Augen sich weiteten, und hob die Hand, um sie am Sprechen zu hindern. »Niemand spricht das laut aus, aber die ganze Familie denkt darüber nach.«
Rose zweifelte nicht daran, dass dem so war, und die Vorstellung, dass Tommy an Komplikationen infolge von Mangelernährung gestorben war, besaß eine gewisse schaurige Plausibilität. Wenn Steam knapp war, wurde das Leben schwer und verlor seinen Geschmack. Sie waren zwar keine Vampire aus einem dieser alten Horrorfilme von Hammer Productions, aber essen mussten sie trotzdem.
»Und wie lange ist es her, seit wir eine siebente Welle hatten?«, sagte Crow.
Er kannte die Antwort, und Rose kannte sie ebenfalls. Der Wahre Knoten besaß begrenzte präkognitive Fähigkeiten, aber wenn ein wirklich großes Tölpel-Desaster – eine siebente Welle – im Anzug war, dann spürten sie es alle. Die Einzelheiten des Anschlags auf das World Trade Center waren ihnen zwar erst im Spätsommer 2001 klar geworden, aber schon Monate vorher hatten sie gewusst, dass in New York irgendetwas geschehen würde. Rose erinnerte sich noch an die Freude und die gespannte Erwartung. Wahrscheinlich fühlten sich hungrige Tölpel genauso, wenn sie rochen, dass in der Küche gerade eine besonders schmackhafte Mahlzeit zubereitet wurde.
An jenem Tag war mehr als genug für alle da gewesen, in den folgenden Tagen ebenfalls. Unter den Leuten, die beim Einsturz der Türme zu Tode gekommen waren, waren womöglich nur wenige echte Steamheads gewesen, aber wenn eine Katastrophe groß genug war, dann hatten die Qualen und der gewaltsame Tod selbst bei gewöhnlichen Menschen eine anreichernde Wirkung. Deshalb wurden die Wahren von solchen Orten angezogen wie Insekten von hellem Licht. Einzelne Steamheads unter den Tölpeln aufzuspüren war wesentlich schwieriger, und momentan hatten nur drei der Wahren dieses spezielle Sonargerät im Kopf: Grampa Flick, Barry the Chink und Rose selbst.
Sie stand auf, griff nach einem weit ausgeschnittenen Top, das zusammengefaltet auf dem Schränkchen lag, und zog es sich über. Wie immer sah sie großartig aus. Sie wirkte zwar einerseits irgendwie unheimlich (diese hohen Wangenknochen und diese leicht schrägen Augen), aber andererseits auch extrem sexy. Dann setzte sie ihren Hut wieder auf und klopfte einmal darauf, weil das Glück brachte. » Wie viele volle Flaschen sind wohl übrig, Crow?«
Er zuckte die Achseln. »Ein Dutzend? Fünfzehn?«
»In etwa«, stimmte sie zu. Besser, dass keiner der anderen die Wahrheit kannte, nicht einmal ihr Stellvertreter. Dass die herrschende Unsicherheit sich in offene Panik verwandelte, konnte sie gar nicht brauchen. Wenn Leute in Panik gerieten, rannten sie in alle Richtungen, und wenn das geschah, gerieten die Wahren in Gefahr, sich aufzulösen.
Währenddessen studierte Crow sie, und zwar aufmerksam. Bevor er zu viel sehen konnte, sagte sie: »Kannst du den Campingplatz hier für heute Nacht exklusiv buchen?«
»Kein Problem. Seit Benzin und Diesel so teuer geworden sind, bekommt der Besitzer ihn kaum halb voll, selbst an Wochenenden. Der ist begeistert, wenn er mal die Chance hat.«
»Dann tu es. Wir werden Flaschen-Steam nehmen. Sorg dafür, dass alle es erfahren.«
»Gute Entscheidung.« Er küsste sie, wobei er eine ihrer Brüste liebkoste. »Das ist mein Lieblingstop.«
Sie lachte und schob ihn weg. »Jedes Top mit Titten drin
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