Doctor Sleep (German Edition)
Vielleicht sogar zwei.
Andi nahm ihn am Arm und führte ihn ins Wohnzimmer. Dort standen zwei mit Chintz bezogene Kozy-Sessel, vor denen Klapptischchen aufgebaut waren.
»Setzen!«, sagte sie.
Mit geschlossenen Augen setzte Mr. Kozy sich hin.
»Du fummelst gern an kleinen Mädchen rum, was?«, sagte Andi. »Jedenfalls würdest du das tun, wenn du könntest, oder etwa nicht? Wenn du schnell genug laufen könntest, um sie zu fangen, jedenfalls.« Die Hände in die Hüften gestützt, betrachtete sie ihn. »Du bist widerlich. Kannst du das auch selber sagen?«
»Ich bin widerlich«, stimmte Mr. Kozy zu. Dann begann er zu schnarchen.
Mrs. Kozy kam aus der Küche. Sie nagte an einem Sandwich-Eis. »Nanu? Wer sind denn Sie? Was sagen Sie ihm da? Was wollen Sie?«
»Dass Sie einschlafen«, sagte Andi zu ihr.
Mrs. Kozy ließ ihr Eis fallen. Dann wurden ihre Knie wacklig, und sie setzte sich drauf.
»Ach, du Scheiße!«, sagte Andi. »Ich hab nicht gleich da gemeint. Aufstehen!«
Als Mrs. Kozy aufstand, klebte das zerquetschte Sandwich-Eis hinten an ihrem Kleid. Snakebite Andi legte ihr den Arm um die praktisch nicht vorhandene Taille und führte sie zu dem zweiten Kozy-Sessel. Dabei hielt sie kurz inne, um ihr das schmelzende Sandwich-Eis vom Hintern zu ziehen. Bald saßen die beiden mit geschlossenen Augen Seite an Seite da.
»Ihr werdet die ganze Nacht schlafen«, wies Andi sie an. »Sie, Mister, können davon träumen, kleinen Mädchen nachzustellen. Und Sie, Missus, können davon träumen, dass er an einem Herzinfarkt gestorben ist und Ihnen eine millionenschwere Lebensversicherung hinterlassen hat. Na, wie klingt das? Prima, oder?«
Sie schaltete den Fernseher ein und stellte den Ton lauter. Pat Sajak, Moderator des Glücksrads, wurde von einer Frau mit gewaltigen Titten umarmt, die gerade das Rätsel gelöst hatte. Die Lösung lautete: RUH DICH NIE AUF DEINEN LOR BEEREN AUS. Andi gönnte sich einen Moment, um den Mammutbusen der Frau zu bewundern, dann wandte sie sich wieder den Kozys zu.
» Wenn die Elf-Uhr-Nachrichten vorbei sind, könnt ihr den Fernseher ausschalten und ins Bett gehen. Und wenn ihr morgen aufwacht, werdet ihr euch nicht daran erinnern, dass ich hier war. Irgendwelche Fragen?«
Die beiden hatten keine. Andi ließ sie sitzen und eilte zu den im Pulk aufgestellten Wohnmobilen zurück. Sie war hungrig, seit Wochen schon, und heute Nacht würde es genug für jeden geben. Was morgen anging … es war die Aufgabe von Rose, sich darum Sorgen zu machen, und aus der Sicht von Snakebite Andi durfte sie das gern tun.
4
Gegen acht Uhr abends war es vollständig dunkel. Um neun versammelten die Wahren sich im Picknickbereich des Campingplatzes. Rose the Hat kam mit der Flasche in der Hand als Letzte. Bei seinem Anblick erhob sich ein leises, gieriges Gemurmel. Rose wusste, wie sich alle fühlten. Sie war selber mächtig hungrig.
Sie bestieg einen der mit eingeritzten Initialen übersäten Picknicktische und blickte allen nacheinander in die Augen. » Wir sind der Wahre Knoten.«
» Wir sind der Wahre Knoten«, erwiderten die anderen. Ihre Gesichter wirkten ernst und feierlich, ihre Augen waren lebhaft und hungrig. » Was gebunden ist, darf nie gelöst werden.«
» Wir sind der Wahre Knoten, und wir dauern fort.«
» Wir dauern fort.«
» Wir sind die Auserwählten. Wir sind die Glückseligen.«
» Wir sind auserwählt und glückselig.«
»Sie sind die Macher, wir sind die Nehmer.«
» Wir nehmen, was sie machen.«
»Nehmt dies und nutzt es gut.«
» Wir werden es gut nutzen.«
Einmal, zu Anfang des letzten Jahrzehnts vom 20. Jahrhundert, hatte in Enid, Oklahoma, ein Junge namens Richard Gaylesworthy gelebt. Ich schwöre, das Kind kann meine Gedanken lesen, sagte seine Mutter manchmal. Das wurde von den Leuten zwar belächelt, war jedoch nicht als Scherz gemeint. Vielleicht konnte er sogar nicht nur ihre Gedanken lesen. Richard absolvierte schulische Tests, auf die er sich überhaupt nicht vorbereitet hatte, mit der Bestnote. Er wusste, ob sein Vater in guter Laune nach Hause kommen würde oder ob er sich beim Heimkommen noch über irgendeinen Mist in der Firma für Sanitärzubehör ärgerte, die er besaß. Einmal flehte der Junge seine Mutter an, Lotto zu spielen, weil er sich sicher sei, die Gewinnzahlen zu kennen. Mrs. Gaylesworthy weigerte sich – sie waren gute Baptisten –, aber später bereute sie das. Es stimmten zwar nicht alle sechs Zahlen, die Richard auf den
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