Doktor Faustus
Kosmos, mit denen er mich sehr an seinen Vater und dessen sinnige Manie erinnerte, »die elementa zu spekulieren«.
Für den Komponisten der »Frühlingsfeyer« traf nämlich die Aussage des Dichters nicht zu, daß er davon abstehe, »sich in den Ozean der Welten alle zu stürzen« und nur um den »Tropfen am Eimer«, um die Erde nur schweben und anbeten wolle. Er stürzte sich allerdings in das Unermeßliche, das die astrophysische Wissenschaft zu messen sucht, nur um dabei zu Maßen, Zahlen, Größenordnungen zu gelangen, zu denen der Menschengeist gar kein Verhältnis mehr hat, und die sich im Theoretischen und Abstrakten, im völlig Unsinnlichen, um nicht zu sagen: Unsinnigen verlieren. Übrigens will ich nicht vergessen, daß es mit einem Schweben um den »Tropfen«, der {388} ja diesen Namen nicht übel verdient, da er überwiegend aus Wasser, aus den Wassern der Meere besteht, und der bei Gelegenheit des Gesamtwurfes »auch der Hand des Allmächtigen entrann«, – daß es, sage ich, mit Erkundungen über ihn und seine dunklen Verstecktheiten doch seinen Anfang nahm; denn die Wunder der Meerestiefe, die Tollheiten des Lebens dort unten, wohin kein Sonnenstrahl dringt, waren das Erste, wovon Adrian mir erzählte – und zwar auf eine besondere, wunderliche Weise, die mich zugleich amüsierte und verwirrte, nämlich im Stil eigener Anschauung und persönlichen Dabeigewesenseins.
Selbstverständlich hatte er von diesen Dingen nur gelesen, hatte sich Bücher darüber verschafft und seine Phantasie damit gespeist; aber sei es nun, weil er so sehr bei der Sache gewesen war, sich dieser Bilder so klar bemächtigt hatte, oder aus was für einer Laune immer: er fingierte, daß er selber hinabgefahren sei, nämlich in der Gegend der Bermuda-Inseln, einige Seemeilen östlich von St. Georg, und sich die natürlichen Phantastereien des Abgrundes von einem Begleiter habe zeigen lassen, den er als einen amerikanischen Gelehrten namens Capercailzie charakterisierte, und mit dem er einen neuen Tiefenrekord aufgestellt haben wollte.
Ich erinnere mich dieser Unterhaltung sehr lebhaft. Ich genoß sie an einem Wochenende, das ich in Pfeiffering verbrachte, nach der einfachen Abendmahlzeit, die Clementine Schweigestill uns im großen Klavierzimmer aufgetischt hatte. Freundlich hatte die streng Gekleidete dann einem jeden von uns einen irdenen Halbliter-Krug Bier in die Abtsstube gebracht, und dort saßen wir, Zechbauer-Zigarren rauchend, leichte und gute. Es war um die Stunde, wo Suso, der Hund, Kaschperl also, schon von der Kette los war und frei um den Hof strich.
Da also gefiel Adrian sich in dem Scherz, mir höchst anschaulich vorzuerzählen, wie er mit Mr. Capercailzie eine ku {389} gelförmige Tauchergondel von nur 1,20 m Innendurchmesser und ausgerüstet ungefähr wie ein Stratosphärenballon, bestiegen habe und sich mit ihm darin durch den Kran des Begleitschiffes in das hier ungeheuer tiefe Meer habe versenken lassen. Es war mehr als aufregend gewesen, – wenigstens für ihn, wenn auch nicht für seinen Mentor oder Cicerone, dem er dies Erlebnis abgefordert hatte, und den die Sache kühler ließ, da es nicht seine erste Niederfahrt war. Ihre Lage im engen Inneren der zwei Tonnen schweren Hohlkugel war nichts weniger als bequem gewesen, dafür aber hatte das Bewußtsein der absoluten Zuverlässigkeit ihrer Behausung sie entschädigt: durchaus wasserdicht gebaut wie sie war, einem gewaltigen Druck gewachsen, versehen mit einem ergiebigen Sauerstoff-Vorrat, Telephon, Starkstrom-Scheinwerfern und Quarzfenstern zur Ausschau nach allen Seiten. Etwas länger als drei Stunden, alles in allem, hatten sie unter dem Meeresspiegel darin verweilt, die ihnen im Fluge vergangen waren dank den Gesichten und Einblicken, die ihnen gestattet gewesen in eine Welt, deren stille, närrische Fremdheit sich durch ihre angeborene Kontaktlosigkeit mit der unsrigen rechtfertigte, sich gewissermaßen aus ihr erklärte.
Immerhin war es ein seltsamer, das Herz ein wenig stocken machender Augenblick gewesen, als, eines Morgens um 9 Uhr, die vierhundert Pfund schwere Panzertür sich hinter ihnen geschlossen hatte und sie vom Schiffe herabgeschwebt und dann ins Element getaucht waren. Anfangs hatte das kristallklare, von der Sonne durchleuchtete Wasser sie umgeben. Aber diese Erhellung des Inneren unseres »Tropfens am Eimer« durch das obere Licht reicht nur etwa 57 Meter hinab; dann hört alles auf, oder vielmehr: eine neue, bezuglose und nicht
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