Doktor Faustus
Bildhaftigkeit, wie, in der dritten Strophe der »Melancholie«, die Aussagen von dem »sovran shrine«, den die verschleierte Schwermut im Tempel des Entzückens selbst besitze, – von niemandem gesehen freilich, als von dem, dessen kühne Zunge die Weinbeere der Lust an zartem Gaumen zu sprengen wisse, – was einfach glänzend ist und schwerlich der Musik etwas zu sagen übrig läßt. Mag sein, daß sie nur vermeiden kann, ihm zu schaden, indem sie es verlangsamend mitspricht. Ich habe oft sagen hören, ein Gedicht dürfe nicht zu gut sein, um ein gutes Lied abzugeben. Die Musik sei viel besser daran bei der Aufgabe, das Mäßige zu vergolden. So glänzt virtuose Schauspielkunst am hellsten in schlechten Stücken. Aber Adrians Verhältnis zur Kunst war zu stolz und kritisch, als daß er Lust gehabt hätte, sein Licht in der Finsternis leuchten zu lassen. Er mußte geistig wahrhaft hoch achten, wo er sich als Musiker aufgerufen fühlen sollte, und so war auch das deutsche Gedicht, dem er sich produktiv hingegeben, vom höchsten Range, wenn gleich ohne die intellektuelle Distinktion der Keats'schen Lyrik. Für diese literarische Erlesenheit trat hier ein Monumentaleres, das hochgestimmte und rauschende Pathos religiös-hymnischer Lobpreisung ein, das mit seinen Anrufungen und Schilderungen von Majestät {386} und Milde der Musik sogar mehr vorgab, ihr treuherziger entgegenkam, als der griechische Adel jener britischen Bildungen.
Es war Klopstocks Ode »Die Frühlingsfeyer«, der berühmte Gesang vom »Tropfen am Eimer«, den Leverkühn, mit wenigen textlichen Kürzungen, für Bariton, Orgel und Streichorchester komponiert hatte, – ein erschütterndes Stück Werk, das während des ersten deutschen Weltkrieges und einige Jahre nach ihm an mehreren deutschen Musik-Zentren und auch in der Schweiz unter der enthusiastischen Zustimmung einer Minorität, und freilich natürlich auch hämisch-banausischem Widerspruch, durch mutige und der neuen Musik freundliche Dirigenten zur Aufführung gelangt ist und sehr dazu beigetragen hat, daß, spätestens in den Zwanziger Jahren, eine Aura esoterischen Ruhms sich um den Namen meines Freundes zu breiten begann. Ich will aber Folgendes sagen: So tief ich bewegt – wenn auch nicht eigentlich überrascht – war von diesem Ausbruch religiösen Gefühls, der desto reiner und frommer wirkte durch die Enthaltsamkeit von billigen Wirkungsmitteln (kein Harfengetön, zu dem der Wortlaut doch geradezu auffordert; keine Pauke zur Wiedergabe des Donners des Herrn); so nahe ans Herz mir gewisse, keineswegs durch verbrauchte Tonmalerei gewonnene Schönheiten oder großartige Wahrheiten des Lobliedes gingen, wie der bedrückend langsame Wandel der schwarzen Wolke, der zweimalige »Jehovah!«-Ruf des Donners, wenn der »geschmetterte Wald dampft« (eine mächtige Stelle), der so neue und verklärte Zusammenklang der hohen Register der Orgel mit den Streichern am Schluß, wenn die Gottheit nicht mehr im Wetter, sondern in stillem Säuseln kommt und unter ihr »sich der Bogen des Friedens neigt«, – so habe ich doch damals das Werk nicht nach seinem wahren seelischen Sinn, nicht nach seiner geheimsten Not und Absicht, nach seiner Angst, die im Preisen Gnade sucht, verstanden. Kannte ich denn das Dokument, das nun {387} auch meine Leser kennen, die Niederschrift des »Zwiegesprächs« im steinernen Saal? Nur bedingt hätte ich mich »a partner in your sorrow's mysteries«, wie es einmal in der »Ode on Melancholy« heißt, vor ihm nennen können: nur mit dem Recht einer schon aus Knabenzeiten stammenden vagen Sorge um sein Seelenheil, nicht von wirklichen Wissens wegen, wie es darum stand. Erst später habe ich die Komposition der »Frühlingsfeyer« als das werbende Sühneopfer an Gott verstehen gelernt, das es war: als ein Werk der attritio cordis, geschaffen, wie ich schaudernd vermute, unter den Drohungen jenes auf seinem Schein bestehenden Besuchers.
Aber noch in einem andern Sinn habe ich die persönlichen und geistigen Hintergründe dieser auf Klopstocks Gedicht fußenden Produktion damals nicht verstanden. Ich hätte sie in Verbindung bringen sollen mit Gesprächen, die ich um jene Zeit mit ihm führte, oder die vielmehr er mit mir führte, indem er mir, höchst lebhaft, höchst angelegentlich, von Studien und Forschungen erzählte, die meiner Neugier, meiner Art von wissenschaftlichem Sinn immer ganz ferne lagen: aufregende Bereicherungen seines Wissens von der Natur und vom
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