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Doktor Proktors Pupspulver

Doktor Proktors Pupspulver

Titel: Doktor Proktors Pupspulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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1 . Kapitel
    Der neue Nachbar
    s war Mai und die Sonne schien schon eine Weile auf Japan, dann Russland und Schweden. Jetzt ging sie auch über Oslo auf. Oslo ist die nicht besonders große Hauptstadt eines nicht besonders großen Landes namens Norwegen. Die Sonne schien sogleich auf das gelbe, eher kleine Schloss in Oslo. Hier lebt ein König, der so wenig zu bestimmen hat, dass es kaum auffällt.
    Die Sonne schien auch auf die Festung Akershus unten am Oslofjord. Sie schien auf die alten Kanonen, die über den Fjord gerichtet waren, sie schien durchs Fenster ins Büro des Kommandanten und auf die letzte Tür ganz, ganz hinten, die zur gefürchtetsten Gefängniszelle der ganzen Stadt führte, zum Totenmannsloch, in der nur die allerschlimmsten und gefährlichsten Verbrecher eingekerkert wurden. Die Zelle war leer, abgesehen von einem Rattus norvegicus, einer kleinen norwegischen Wanderratte, die gerade in der Kloschüssel ihr Morgenbad nahm.
    Dann stieg die Sonne noch ein klein bisschen höher und schien auf die Kinder einer Schulkapelle, die schon geübt hatten, sehr früh aufzustehen und kratzende Uniformen anzuziehen. Und gerade jetzt übten sie, zu marschieren und beinahe im Takt Musik zu spielen. Denn bald kam der 17. Mai, der norwegische Nationalfeiertag, an dem überall in dem ganzen kleinen Land alle Schulkapellen sehr früh aufstehen, kratzende Uniformen anziehen und beinahe im Takt Musik spielen.
    Wieder stieg die Sonne etwas höher und schien auf die hölzernen Kaianlagen am Oslofjord, wo gerade ein Schiff aus Schanghai in China angelegt hatte. Die Planken des Kais schwankten knirschend unter eiligen Füßen, die hin und her liefen und die Waren aus dem Schiff luden.
    Ein paar wenige Sonnenstrahlen fielen sogar durch die Planken in ein Kanalrohr, das unter dem Kai ins Wasser des Fjords führte. Und ein einziger Sonnenstrahl drang in die Dunkelheit des Abwasserkanals hinein, wo er etwas aufblitzen ließ. Etwas Weißes, Feuchtes und extrem Scharfes. Etwas, das ganz unheimlich einem großen Gebiss ähnelte. Wer sich mit Kriechtieren auskannte, aber sonst einigermaßen dumm war, konnte meinen, es würde sich hier um die achtzehn Fangzähne im Maul der gefährlichsten und größten Würgeschlange der Welt handeln, der Anakonda. Aber so dumm ist wohl niemand. Schließlich leben Anakondas im Dschungel, in Flüssen wie dem Amazonas in Brasilien und nicht etwa in Abwasserkanälen, die kreuz und quer unter einer friedlichen kleinen Stadt namens Oslo verlaufen. Eine Anakonda in der Kanalisation? Achtzehn Meter nichts als Würgemuskeln, ein Maul, so groß wie ein Schwimmreifen, und Zähne wie Eiszapfen? Haha! Das glaubt ja im Leben niemand!
    Und jetzt ging die Sonne allmählich auch über einer ruhigen Straße namens Kanonenstraße auf. Hier trafen ihre Strahlen ein rotes Haus, in dem der Kommandant der Festung Akershus gerade mit seiner Frau und seiner Tochter Lise beim Frühstück saß. Und auf der anderen Seite der Straße trafen sie auf das gelbe Haus, in dem Lises beste Freundin gewohnt hatte. Leider war Lises beste Freundin gerade in eine Stadt namens Sarpsborg umgezogen und wegen des leeren gelben Hauses fühlte Lise sich noch etwas einsamer, als sie gewesen war, bevor ihre Freundin wegzog. Denn jetzt gab es keine Kinder mehr in der Kanonenstraße, mit denen Lise spielen konnte.
    Die einzigen anderen Kinder in der Nachbarschaft waren Truls und Trym Thrane. Diese beiden Zwillinge wohnten ganz unten in der Straße in einer protzigen Villa mit drei Garagen und waren zwei Jahre älter als Lise. Im Winter warfen sie steinharte Schneebälle nach ihrem kleinen rothaarigen Kopf. Und wenn sie fragte, ob sie nicht zusammen spielen sollten, drückten sie ihr das Gesicht in den Schnee. Mit harten, eiskalten Fausthandschuhen rieben sie ihr Schnee ins Gesicht und nannten sie fiese Lise, Piesel-Lise oder Tante Kommandante. Du denkst jetzt vielleicht, Lise hätte mal den Eltern von Truls und Trym erzählen sollen, wie ungezogen die Zwillinge waren. Aber da kennst du Herrn Thrane schlecht, den Vater von Truls und Trym. Herr Thrane war ein fetter, bösartiger Kerl, noch dicker als Lises Vater und viel, viel böser. Und mindestens zehn Mal so reich wie er. Und weil er dermaßen reich war, fand Herr Thrane, niemand hätte das Recht, anzukommen und ihm irgendwas zu sagen, schon gar nicht, wie er seine Söhne zu erziehen hätte!

    Herr Thrane war dermaßen stinkreich, weil er früher mal einem armen Erfinder eine Erfindung geklaut

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