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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zwischen einem Laken, das in einem Maytag getrocknet worden ist, und einem, das in einem guten Südwind flatterte. Aber es hat viele Wintermorgen gegeben, an denen die Temperatur bei minus zehn Grad lag und der Wind kräftig und feucht war und direkt vom Atlantik kam. An solchen Morgen hätte ich liebend gern auf den angenehmen Duft verzichtet. Das Aufhängen von Laken bei Eiseskälte ist eine Art Folter. Niemand weiß, wie das ist, wenn er es nicht selbst getan hat, und wer es einmal getan hat, vergißt es sein Lebtag nicht mehr. 
    Man trägt den Korb hinaus zu den Leinen; von den oberen steigt der Dampf auf, und das erste Laken ist warm, und vielleicht denkt man dann bei sich - das heißt, wenn man es vorher noch nie getan hat -, ach, so schlimm ist das ja gar nicht. Aber bis man dann dieses erste Laken aufgehängt, die Kanten ausgerichtet und die sechs Klammern angebracht hat, dampft es nicht mehr. Es ist immer noch naß, aber jetzt ist es außerdem kalt. Und deine Finger sind naß, und sie sind auch kalt. Aber du machst weiter, nimmst dir das nächste und dann noch eins und noch eins, und deine Finger werden rot, sie werden langsamer, und deine Schultern tun weh und dein Mund ist verkrampft vom Halten von Klammern, damit du die Hände frei hast und das verdammte Laken die ganze Zeit schön gerade halten kannst. Aber das Schlimmste sind deine Finger. Wenn sie nur taub würden, dann wäre das eine Sache. Du wünschst dir beinahe, daß sie das täten. Aber sie werden rot, und wenn es genügend Laken sind, dann nehmen sie mit der Zeit eine blaß purpurne Farbe an, wie die Ränder mancher Lilien. Und wenn du dann endlich fertig bist, sind deine Hände im Grunde nur noch Klauen. Aber das Schlimmste ist, daß du weißt, was passieren wird, wenn du endlich mit dem leeren Wäschekorb wieder reingehst und die Wärme deine Hände überfällt. Sie fangen an zu kribbeln, und dann fangen sie an, in den Gelenken zu pochen - es ist ein Gefühl, das so tief drinnen sitzt, daß es eigentlich mehr ein Heulen ist als ein Pochen. Ich wollte, ich könnte es dir so beschreiben, daß du es nachfühlen kannst, Andy, aber ich kann es nicht. Nancy Bannister hier sieht so aus, als könnte sie es nachfühlen, wenigstens ein bißchen; aber es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Aufhängen von Wäsche im Winter auf dem Festland und hier auf der Insel. Wenn deine Finger wieder warm werden, dann fühlt sich das an, als wimmelte es in ihnen von Ameisen. Also reibst du sie mit irgendeiner Handlotion ein und wartest darauf, daß das Kribbeln verschwindet. Aber du weißt, daß es völlig egal ist, wieviel Lotion aus dem Laden oder wieviel von dem gewöhnlichen Desinfektionsmittel für Schafe du in deine Hände einreibst; Ende Februar ist die Haut immer noch so spröde, daß sie aufreißt und blutet, wenn du die Hand nur zur Faust ballst. Und manchmal, wenn du erst wieder warm geworden und vielleicht sogar zu Bett gegangen bist, wecken deine Hände dich mitten in der Nacht auf und heulen in Erinnerung an diese Schmerzen. Ihr glaubt, ich mache Witze? Ihr könnt lachen, wenn ihr wollt, aber mir ist nicht nach Lachen zumute, nicht im geringsten. Du kannst sie fast hören, wie kleine Kinder, die ihre Mama nicht finden können. Es kommt von ganz tief drinnen, und du liegst da und hörst zu, und dabei weißt du die ganze Zeit, daß du trotzdem wieder nach draußen gehen wirst, nichts kann es verhindern, und das alles ist ein Teil der Arbeit einer Frau, von der kein Mann eine Ahnung hat und auch nicht haben will.
    Und während du bei der Arbeit bist, mit tauben Händen, purpurnen Fingern, schmerzenden Schultern und Tropfen, die dir aus der Nase rinnen und auf deiner Oberlippe zu Eisklümpchen gefrieren, steht oder sitzt sie fast immer da oben an ihrem Schlafzimmerfenster und schaut zu dir runter. Ihre Stirn ist gerunzelt und ihr Mund verzerrt, und ihre Hände bearbeiten sich gegenseitig - sie ist so angespannt, als müßte sie eine schwierige Operation in einem Krankenhaus überwachen, und nicht nur das Aufhängen von Laken, damit sie im Winterwind trocknen können. Man kann direkt sehen, wie sie versucht, sich zurückzuhalten, diesmal ihre große Klappe zu halten, aber nach einer Weile gelingt es ihr nicht mehr, und dann reißt sie das Fenster auf und beugt sich vor, bis der kalte Ostwind an ihrem Haar reißt, und keift runter: »Denken Sie daran, sechs Klammern! Und sorgen Sie dafür, daß der Wind meine guten Laken nicht in die Hofecke weht!

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