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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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in mir hervorrief, zerstreute ein wenig die furchtsame Aufmerksamkeit, mit der ich mich auf den Schatten konzentriert hatte. Der Schatten schien sich aufzulösen, jedenfalls nach seinen ziellosen Zuckungen zu urteilen, und dann machte er sich davon und verschmolz mit der uns umgebenden Dunkelheit. Ich rüttelte Pablito. Er hob den Kopf und stieß einen gedämpften Schrei aus. Ich blickte auf. Ein seltsamer Mann starrte mich an. Er schien direkt hinter dem Schatten gestanden, vielleicht sich hinter ihm versteckt zu haben. Er war ziemlich groß und schlank, hatte ein längliches Gesicht, keine Haare, und die linke Seite seines Kopfes war von einer Art Ausschlag oder Ekzem bedeckt. Seine Augen leuchteten wild. Sein Mund stand halb offen. Bekleidet war er mit einem eigenartigen Pyjama. Die Hosen waren ihm zu kurz. Ich konnte nicht feststellen, ob er Schuhe trug oder nicht. So stand er da und schaute uns, wie mir schien, lange Zeit an, als ob er auf eine Eröffnung wartete, um sich auf uns zu stürzen und uns zu zerreißen. In seinen Augen lag eine solche Intensität! Es war nicht Haß oder Gewalt, sondern irgendein tierisches Mißtrauen. Ich konnte die Spannung nicht länger ertragen. Ich wollte eine Kampfstellung einnehmen, die Don Juan mich vor Jahren gelehrt hatte, und das hätte ich auch getan, wäre da nicht Pablito gewesen, der mir zuflüsterte, daß der Verbündete nicht die Linie überschreiten könne, die Don Genaro auf den Boden gezeichnet hatte. Jetzt erkannte ich auch, daß dort eine helle Linie war, die das Unwesen vor uns zurückzuhalten schien. Nach einer Weile wandte der Mann sich nach links ab, genau wie vorhin der Schatten. Ich hatte den Eindruck, daß Don Juan und Don Genaro beide zurückgerufen hatten. Nun entstand eine kurze, stille Pause. Ich konnte Don Juan oder Don Genaro nicht mehr sehen; sie saßen nicht mehr auf den Spitzen des Halbmonds. Plötzlich hörte ich ein Geräusch, als ob an der Stelle, wo wir saßen, zwei Steinchen auf den festen Fußboden fielen, und blitzartig war die Fläche vor uns erleuchtet, als sei ein mildes, gelbliches Licht eingeschaltet worden. Vor uns stand eine raubgierige Bestie, ein riesiger, ekeleregend aussehender Kojote oder Wolf. Sein ganzer Körper war mit einem weißen Sekret bedeckt, vielleicht Schweiß oder Speichel. Sein Haar war zottig und feucht. Seine Augen blickten wild. Er knurrte in blinder Wut, und mich durchfuhr ein Schauer. Seine Kiefer zitterten und Speichelflocken flogen umher. Er scharrte den Boden wie ein außer Rand und Band geratener Hund, der sich von einer Kette zu befreien sucht. Dann richtete er sich auf den Hinterbeinen auf und bewegte wie rasend seine Vorderpfoten und das Gebiß. Seine ganze Wut schien darauf gerichtet, irgendeine Schranke vor uns zu durchbrechen. Mir wurde bewußt, daß meine Angst vor dem rasenden Tier von anderer Art war als die Angst vor den zwei Erscheinungen, die ich vorhin gesehen hatte. Meine Furcht vor dieser Bestie war ein physischer Abscheu und Horror. In äußerster Ohnmacht beobachtete ich ihr Toben. Plötzlich schien ihre Wildheit nachzulassen, und sie trottete davon. Dann hörte ich, wie etwas anderes sich uns näherte, oder vielleicht spürte ich es: plötzlich erhob sich drohend vor uns die Gestalt einer kolossalen Raubkatze. Zuerst sah ich ihre Augen in der Dunkelheit. Sie waren riesig und starr, wie zwei das Licht spiegelnde Wasserpfützen. Sie schnaubte und knurrte leise. Sie atmete schwer und glitt vor uns hin und her. ohne den Blick von uns zu lassen. Sie hatte nicht jenes elektrische Leuchten, das der Kojote gehabt hatte. Ich konnte ihre Umrisse nicht klar erkennen, und doch war ihre Anwesenheit unendlich viel unheildrohender als die der anderen Bestie. Sie schien ihre Kräfte zu sammeln; ich spürte, sie war so wild entschlossen, daß sie alle Grenzen sprengen würde. Pablito mußte die gleiche Empfindung haben, denn er flüsterte mir zu, ich solle meinen Kopf einziehen und mich flach auf den Boden werfen. In der nächsten Sekunde sprang die Katze los. Sie raste auf uns zu - und dann sprang sie mit vorgestreckten Klauen. Ich schloß die Augen und verbarg den Kopf zwischen den Armen am Boden. Ich spürte, daß die Bestie die schützende Linie, die Don Genaro um uns gezogen hatte, durchbrach und jetzt tatsächlich über uns war. Ich spürte, wie ihr Gewicht mich niederdrückte. Das Fell ihres Bauches scheuerte an meinem Hals. Es schien, als steckten ihre Vorderpranken irgendwo fest; sie wand sich, um

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