Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
ein Geräusch hörte, einen herabkollernden Felsbrocken. Im gleichen Augenblick sah ich einen ziemlich großen Stein über die Wand der Schlucht auf mich stürzen. Blitzartig sah ich auch, daß Don Genaro ihn geworfen hatte. Ich hatte einen Anfall von Panik, und im nächsten Augenblick wurde ich wieder an den alten Platz oben auf dem Felsen gehievt. Ich schaute mich um; Don Genaro war nicht mehr da. Don Juan fing an zu lachen und meinte, Don Genaro sei gegangen, weil er meinen Gestank nicht habe ertragen können. Erst jetzt wurde mir peinlich bewußt, daß ich mich tatsächlich besudelt hatte. Don Juan hatte recht gehabt, mich meine Kleider ausziehen zu lassen. Er führte mich zu einem Bach in der Nähe und wusch mich wie ein Pferd in der Schwemme, wobei er mit meinem Hut Wasser schöpfte und mich begoß, und ließ sich übermütig über die Tatsache aus, daß wir immerhin meine Hosen gerettet hatten.
Die Blase der Wahrnehmung
Den Tag verbrachte ich allein in Don Genaros Haus. Die meiste Zeit schlief ich. Am Spätnachmittag kehrte Don Juan zurück, und wir wanderten in tiefem Schweigen zu einer nahegelegenen Bergkette. Bei Einbruch der Dämmerung machten wir halt und setzten uns am Rand einer tiefen Schlucht, bis es beinahe dunkel war. Dann führte Don Juan mich an eine andere Stelle in der Nähe, zu einer gigantischen Klippe mit einer schier senkrechten Felswand. Die Klippe war von dem Weg aus, der zu ihr hinführte, nicht zu sehen. Aber Don Juan hatte sie mir schon einige Male zuvor gezeigt. Er hatte mich über den Rand hinunterspähen lassen und mir gesagt, daß die ganze Klippe ein Ort der Kraft sei, besonders aber ihre Basis, die in einem mehrere hundert Fuß tiefen Canon lag. Jedesmal, wenn ich hinabschaute, hatte ich ein unangenehmes Frösteln empfunden. Der Canon wirkte immer dunkel und bedrohlich.
Bevor wir die Stelle erreichten, sagte Don Juan, ich müsse nun allein weitergehen und würde am Rand der Klippe Pablito treffen. Er empfahl mir, mich zu entspannen und die Gangart der Kraft anzuwenden, um meine nervöse Müdigkeit abzuschütteln.
Don Juan trat zur Seite, links vom Weg, und die Dunkelheit verschluckte ihn einfach. Ich wollte stehen bleiben und nachschauen, wohin er gegangen war, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Ich fing an zu traben, obwohl ich so müde war, daß ich mich kaum auf den Füßen halten konnte. Als ich die Klippe erreichte, konnte ich nichts mehr sehen, und so trabte ich weiter auf der Stelle und atmete tief. Nach einer Weile fühlte ich mich entspannter; ich stand reglos mit dem Rücken gegen einen Felsen gelehnt, und dann entdeckte ich einige Meter vor mir die Gestalt eines Mannes. Er hockte dort und barg den Kopf in den Armen. Einen Augenblick hatte ich furchtbare Angst und fuhr zurück, aber dann erklärte ich mir, daß der Mann Pablito sein mußte, und ich näherte mich ihm, ohne zu zögern. Ich rief laut seinen Namen. Ich überlegte, vielleicht war er sich nicht sicher gewesen, wer ich sei, und war so erschrocken, daß er seinen Kopf bedeckt hatte, um nicht hinschauen zu müssen. Aber bevor ich bei ihm war, ergriff mich eine unerklärliche Furcht. Mein Körper erstarrte auf der Stelle - mit ausgestrecktem Arm, bereit, ihn zu berühren. Der Mann hob den Kopf. Es war nicht Pablito! Seine Augen waren zwei riesige Spiegel, wie die Augen eines Tigers. Mein Körper schnellte rückwärts. Meine Muskeln spannten sich und lockerten wieder ihre Spannung, ohne die geringste Beteiligung meines Willens, und ich tat einen Satz nach hinten, so schnell und so weit, daß ich unter normalen Umständen allerlei Spekulationen darüber angestellt hätte, wie das nur möglich sei. In diesem Fall aber war meine Angst so überwältigend, daß ich keine Neigung zu Grübeleien verspürte, und ich wäre davongerannt, hätte nicht jemand mich gewaltsam am Arm festgehalten. Das Gefühl, daß jemand meinen Arm gepackt hatte, stürzte mich gänzlich in Panik; ich schrie. Mein Ausbruch war aber nicht der Aufschrei, den ich erwartet hätte, sondern ein langes, grauenerregendes Kreischen. Ich wandte mich zu meinem Angreifer um. Es war Pablito, der noch heftiger zitterte als ich. Meine Nervosität erreichte ihren Gipfel. Ich konnte nicht sprechen, meine Zähne klapperten, und über meinen Rücken liefen Wellenbewegungen, die mich unfreiwillig auf- und abspringen ließen. Ich mußte durch den Mund atmen.
Zähneklappernd sagte Pablito, daß das »Nagual« ihn erwartet habe. Er sei ihm kaum entronnen, als
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