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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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verschwunden. Ich fürchtete mich nicht davor zu verschwinden. Ich sehnte mich nach dem »Unbekannten«, wo mein Bewußtsein nicht geeint war. Langsam führte Don Juan mich, wobei er meine beiden Schultern fest nach unten drückte, zu einem Ort nicht weit von Genaros Haus. Hier hieß er mich niederliegen und bedeckte mich dann mit weicher Erde von einem Haufen, der zu diesem Zweck vorbereitet zu sein schien. Er bedeckte mich bis zum Hals hinauf. Aus Laub machte er mir eine Art Kopfkissen und befahl mir, mich nicht zu bewegen und keinesfalls einzuschlafen. Er sagte, er wolle sich neben mich setzen und mir Gesellschaft leisten, bis die Erde meine Form wieder gefestigt hätte. Ich fühlte mich sehr wohl und hatte ein unwiderstehliches Schlafbedürfnis, aber Don Juan ließ es nicht zu. Er verlangte, ich solle über alles unter der Sonne sprechen, ausgenommen über das, was ich soeben erlebt hatte. Zuerst wußte ich nicht, worüber reden, dann fragte ich ihn nach Don Genaro. Don Juan sagte, Don Genaro habe Pablito mitgenommen und ihn irgendwo in der Gegend eingegraben, und er kümmere sich um ihn, genau wie er, Don Juan, sich um mich kümmerte. Ich wollte gern das Gespräch fortsetzen, aber irgend etwas in mir war unvollständig; ich verspürte eine ungewohnte Gleichgültigkeit, eine Müdigkeit, die fast wie Langeweile war. Don Juan schien zu wissen, wie ich mich fühlte. Er fing an über Pablito zu sprechen und darüber, wie unsere Schicksale miteinander verwoben seien. Er sagte, daß er zur gleichen Zeit Pablitos Wohltäter geworden sei, als Don Genaro sein Lehrer wurde, und daß die Kraft Pablito und mich Schritt um Schritt zusammengeführt habe. Der einzige Unterschied zwischen Pablito und mir, stellte er nachdrücklich fest, sei der, daß Pablitos Welt als Krieger von Zwang und Furcht beherrscht sei, während meine von Zuneigung und Freiheit regiert werde. Dieser Unterschied, erklärte Don Juan, sei durch die wesensverschiedenen Persönlichkeiten der Wohltäter bedingt: Don Genaro sei herzlich und liebevoll und lustig, während er selbst streng, autoritär und direkt sei. Meine Persönlichkeit habe einen starken Lehrer, aber einen sanften Wohltäter verlangt, während es bei Pablito umgekehrt sei: er brauche einen freundlichen Lehrer und einen strengen Wohltäter. Wir sprachen noch lange weiter, und dann brach der Morgen an. Als die Sonne über den Bergen am östlichen Horizont aufging, half er mir, aus dem Erdhaufen aufzustehen.
    Nachdem ich am frühen Nachmittag erwacht war, setzten Don Juan und ich uns neben die Tür von Don Genaros Haus. Don Juan sagte, Don Genaro sei immer noch mit Pablito zusammen und bereite ihn auf die letzte Begegnung vor. »Morgen werden du und Pablito in das Unbekannte gehen«, sagte er. »Ich muß dich jetzt darauf vorbereiten. Du wirst allein hineingehen. Gestern abend wart ihr beide wie zwei hin - und hergezogene Jo-Jos. Morgen wirst du auf dich allein gestellt sein.«
    Dann hatte ich einen regelrechten Anfall von Neugier, und die Fragen hinsichtlich meiner Erfahrungen vom letzten Abend sprudelten nur so aus mir heraus. Er ließ sich durch mein Trommelfeuer nicht aus der Ruhe bringen. »Heute muß mir ein ganz entscheidendes Manöver gelingen«, sagte er. »Ich muß zum letztenmal einen Trick mit dir anstellen. Und du mußt auf meinen Trick hereinfallen.« Er lachte und schlug sich auf die Schenkel. »Was Genaro dir gestern abend mit der ersten Übung zeigen wollte, das war. wie die Zauberer das Nagual nutzen«, fuhr er fort. »Man gelangt unmöglich zur Erklärung der Zauberer, solange man nicht willig das Nagual benutzt hat, oder besser, solange man nicht willig das Tonal genutzt hat, um seine Handlungen im Nagual zu verstehen. Um es vielleicht verständlicher auszudrücken, könnte man sagen, daß die Ansicht des Tonal vorherrschen muß, wenn man das Nagual nutzen will, wie die Zauberer es tun.«
    Ich sagte ihm, ich fände in dem, was er eben gesagt hatte, einen eklatanten Widerspruch. Einerseits hatte er mir erst vor zwei Tagen eine unglaubliche Zusammenfassung all seiner wohlüberlegten Taten in einem Zeitraum von Jahren gegeben -Taten, die meine Weltsicht verändern sollten. Und andererseits wolle er nun, daß diese gleiche Ansicht vorherrsche. »Das eine hat nichts mit dem ändern zu tun«, sagte er. »Die Ordnung unserer Wahrnehmung gehört ausschließlich zum Bereich des Tonal. Nur dort können unsere Handlungen eine Reihenfolge haben, nur dort sind sie wie Leitern, auf denen

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