Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
als ob sie nicht in die Zwischenräume zwischen den Fingern seiner rechten Hand passen wollten.
»Diese Sprünge waren nur der Anfang«, fuhr er fort. »Dann kam deine eigentliche Exkursion in das Unbekannte. Gestern nacht erlebtest du das Unaussprechliche, das Nagual. Deine Vernunft kann die physische Erkenntnis, daß du ein unbeschreibliches Bündel von Gefühlen bist, nicht abwehren. Deine Vernunft würde an diesem Punkt vielleicht sogar zugeben, daß es noch ein anderes Zentrum der Sammlung gibt, den Willen, durch den es möglich ist, die außerordentlichen Wirkungen des Nagual abzuschätzen oder zu nutzen. Endlich dämmert es deiner Vernunft, daß man das Nagual durch den Willen reflektieren kann, obwohl man es niemals erklären kann.
Jetzt aber zu deiner Frage: Wo warst du, während all dies geschah? Wo war dein Körper? Die Überzeugung, daß es ein wirkliches Du gibt, ist eine Folge der Tatsache, daß du alles, was du hast, um deine Vernunft versammelt hast. In diesem Punkt räumt deine Vernunft ein, daß das Nagual das Unbeschreibliche ist, nicht weil Beweise sie überzeugt hätten, sondern weil es für sie sicherer ist, dies zuzugeben. Deine Vernunft steht auf sicherem Boden, alle Elemente des Ton«/sind auf ihrer Seite.«
Don Juan machte eine Pause und sah mich prüfend an. Sein Lächeln wirkte freundlich.
»Laß uns jetzt zu Genaros Platz der >Inneren Wahl< gehen«, sagte er unvermittelt. Er stand auf, und wir gingen zu dem flachen Stein, wo wir uns vor zwei Tagen unterhalten hatten; den Rücken gegen den Fels gelehnt, machten wir es uns an der gleichen Stelle bequem.
»Es ist stets die Aufgabe des Lehrers, der Vernunft das Gefühl der Sicherheit zu geben«, sagte er. »Ich habe deine Vernunft in die Auffassung hineingetrickst, das Tonal sei erklärbar und vorhersagbar. Genaro und ich. wir haben uns bemüht, dir den Eindruck zu vermitteln, als entziehe sich nur das Nagual dieser Erklärung. Daß der Trick erfolgreich war, beweist die Tatsache, daß es dir im Augenblick, trotz allem, was du durchgemacht hast, immer noch so erscheint, als gebe es einen innersten Kern, den du als dein eigen beanspruchen kannst, deine Vernunft. Dies ist eine Luftspiegelung. Deine kostbare Vernunft ist nur ein Zentrum der Sammlung, ein Spiegel, der etwas reflektiert, das sich außerhalb von dir befindet. Gestern abend erlebtest du nicht nur das unbeschreibliche Nagual, sondern auch das unbeschreibliche Tonal.
Der letzte Teil der Erklärung der Zauberer besagt, daß die Vernunft lediglich eine äußere Ordnung reflektiert und daß die Vernunft nichts über diese Ordnung weiß. Sie kann sie nicht erklären, genauso wenig wie sie das Nagual erklären kann. Die Vernunft kann nur die Wirkungen des Tonal erleben, aber niemals könnte sie es verstehen oder entschlüsseln. Die bloße Tatsache, daß wir denken und sprechen, weist auf eine Ordnung hin, die wir einhalten, ohne je zu wissen, daß wir es tun, oder was diese Ordnung eigentlich ist.« Ich äußerte den Gedanken, daß vielleicht die im Westen betriebene Erforschung der Vorgänge im Gehirn eine mögliche Erklärung bieten könnte, was diese Ordnung sei. Eine solche Forschung, entgegnete er, könne nichts anderes bestätigen, als daß überhaupt irgend etwas geschieht. »Das gleiche tun die Zauberer mit ihrem Willen«, sagte er. »Sie sagen, daß sie durch den Willen die Wirkungen des Nagual erleben können. Ich kann nun hinzufügen, daß wir durch die Vernunft, ganz gleich, was wir mit ihr tun oder wie wir es tun, lediglich die Wirkungen des Tonal erleben. In beiden Fällen gibt es keine Hoffnung, je zu verstehen oder zu erklären, was dies ist, das wir da erleben. Gestern abend war es das erste Mal, daß du mit den Flügeln deiner Wahrnehmung geflogen bist. Du warst noch sehr ängstlich. Du bewegtest dich nur im Rahmen der menschlichen Wahrnehmung. Ein Zauberer kann diese Flügel benutzen, um andere Sensibilitäten zu erreichen, etwa die einer Krähe, eines Kojoten, einer Grille oder die Ordnung anderer Welten dort im unendlichen Raum.«
»Meinst du auf andere Planeten, Don Juan?«
»Selbstverständlich! Die Flügel der Wahrnehmung können uns an die entlegensten Grenzen des Nagual oder in die unvorstellbaren Welten des Tonal tragen.«
»Kann ein Zauberer zum Beispiel zum Mond fliegen?«
»Natürlich kann er das«, antwortete er. »Aber er könnte wohl keinen Sack voll Mondgestein mitbringen.« Wir lachten und scherzten über diese Feststellung, aber es war ihm
Weitere Kostenlose Bücher