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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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wenn der Krieger die beängstigende Natur des Wissens akzeptiert, dann durchkreuzt er seine Furchtbarkeit.« Das seltsame pochende Geräusch setzte wieder ein. Es kam mir jetzt näher und lauter vor. Ich horchte aufmerksam. Je mehr ich darauf achtete, desto schwerer konnte ich bestimmen, was es war. Offenbar war es kein Vogelruf, auch nicht der Schrei eines Landtieres. Jeder einzelne Ton war voll und tief; einige hielten sich in einer tiefen Tonlage, andere in einer hohen. Sie hatten einen eigenen Rhythmus und eine bestimmte Dauer; einige waren lang, ich hörte sie wie eine einzige Klangeinheit; andere waren kurz und gehäuft, wie das Stakkato eines Maschinengewehrs.
    »Die Nachtfalter sind die Boten oder besser gesagt, die Wächter der Ewigkeit«, sagte Don Juan, nachdem das Geräusch aufgehört hatte. »Aus irgendeinem Grund, oder aus gar keinem Grund, sind sie die Bewahrer des Goldstaubs der Ewigkeit.« Diese Metapher war mir fremd. Ich bat ihn, sie zu erklären. »Die Nachtfalter haben einen Staub auf den Flügeln«, sagte er. »Einen dunkel-goldenen Staub. Dieser Staub ist der Staub des Wissens.«
    Seine Erklärung machte die Metapher noch unverständlicher. Ich schwankte einen Augenblick, während ich überlegte, wie ich meine Frage am besten in Worte fassen könnte. Aber er hob wieder an zu sprechen.
    »Das Wissen ist eine höchst eigenartige Sache«, sagte er, »besonders für einen Krieger. Für den Krieger ist das Wissen etwas, das plötzlich kommt, ihn überwältigt und mitreißt.«
    »Was hat das Wissen mit dem Staub auf den Flügeln der Nachtfalter zu tun?« fragte ich nach langer Pause. »Das Wissen schwebt heran wie Flocken von Goldstaub, vom gleichen Staub, der die Flügel der Nachtfalter bedeckt. Daher wirkt das Wissen auf den Krieger, als nähme er eine Dusche, als ließe er sich von den dunkel-goldenen Staubflocken beregnen.« Ich suchte mich höflich auszudrücken, aber ich mußte ihm doch sagen, daß seine Erklärungen mich einigermaßen verwirrt hätten. Er lachte und versicherte mir, er rede völlig klar, nur gestatte meine Vernunft mir nicht, dies zuzugeben. »Die Nachtfalter sind seit undenklichen Zeiten die vertrauten Freunde und Helfer der Zauberer«, sagte er. »Ich habe dieses Thema bisher nicht erwähnt, weil du nicht bereit warst.«
    »Aber wieso kann der Staub auf ihren Flügeln Wissen sein?«
    »Du wirst es sehen.«
    Er legte die Hand auf mein Notizbuch und befahl mir, die Augen zu schließen und ruhig zu werden, ohne jeden Gedanken. Der Ruf des Nachtfalters im Chaparral, meinte er, werde mir helfen. Wenn ich darauf achte, werde er mir von bevorstehenden Ereignissen erzählen. Er räumte ein, daß er weder wisse, wie sich die Kommunikation zwischen dem Nachtfalter und mir herstellen, noch um was es bei dieser Kommunikation gehen werde. Er forderte mich auf, unbefangen und zuversichtlich zu sein und auf meine persönliche Kraft zu vertrauen. Nach einer anfänglichen Phase der Ungeduld und Nervosität gelang es mir, mich zu beruhigen. Meine Gedanken wurden immer weniger, bis mein Geist völlig leer war. Die Geräusche des Wüstenchaparral schienen im gleichen Maß lauter zu werden, wie ich ruhiger wurde.
    Das seltsame Geräusch, das, wie Don Juan meinte, von einem Nachtfalter herrührte, war wieder da. Ich registrierte es als ein Gefühl im Körper, nicht als einen Gedanken in meinem Kopf. Ich stellte fest, daß es überhaupt nicht bedrohlich oder feindselig war. Es war lieblich und einfach. Wie der Ruf eines Kindes. Es rief die Erinnerung an einen kleinen Jungen wach, den ich einst gekannt hatte. Die langen Töne erinnerten mich an seinen runden, blonden Kopf, die kurzen Stakkato-Klänge an sein Lachen. Ein schmerzliches Gefühl bedrückte mich, und doch war mein Geist leer von Gedanken; ich spürte den Schmerz körperlich. Ich konnte nicht mehr aufrecht sitzen und glitt nach der Seite zu Boden. Meine Trauer wurde so heftig, daß mein Denken wieder einsetze. Ich überlegte, was es mit meinem Schmerz und meinem Kummer auf sich haben mochte, und plötzlich fand ich mich mitten in einem Selbstgespräch über den kleinen Jungen. Das pochende Geräusch hatte aufgehört. Meine Augen waren geschlossen. Ich hörte, wie Don Juan aufstand, und dann spürte ich, wie er mir half, mich aufrecht zu setzen. Ich wollte nicht sprechen. Auch er sagte kein Wort. Ich hörte seine Schritte. Dann öffnete ich die Augen. Er kniete vor mir und betrachtete aufm erksam mein Gesicht, wobei er mich mit der

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