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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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fiel in unser aller Lachen ein. »Man sagt, daß es Männer gab, die unverletzt davonkamen«, fuhr Don Genaro fort. »Nehmen wir an, ihre persönliche Kraft tat ihre Wirkung auf die Kameraden. Eine Welle erfaßte sie, während sie auf ihn zielten, und keiner wagte es, seine Waffe zu gebrauchen. Oder vielleicht erfüllte seine Tapferkeit sie mit Ehrfurcht, und sie konnten ihm nichts antun.« Don Genaro sah mich an und dann Pablito. »Es galt auch eine besondere Regel für diesen Gang zum Waldrand hinab«, fuhr er fort. »Der Krieger mußte ruhig und gleichmütig gehen. Sein Schritt mußte sicher und fest sein, sein Blick friedlich geradeaus. Er mußte hinabgehen, ohne zu stolpern, ohne sich umzusehen und vor allem ohne zu rennen.«
    Don Genaro hielt inne. Pablito pflichtete ihm kopfnickend bei.
    »Falls ihr beide euch entscheidet, zu dieser Erde zurückzukehren«, sagte er, »werdet ihr warten müssen wie wahre Krieger, bis eure Aufgaben erfüllt sind. Dieses Warten ist ganz ähnlich wie der Gang des Kriegers in der Geschichte. Ihr seht, die menschliche Zeit des Kriegers war abgelaufen, und eure auch. Der einzige Unterschied ist, wer auf euch zielt. Die auf den Krieger zielten, das waren seine Kriegerkameraden. Aber was auf euch beide zielt, das ist das Unbekannte. Eure einzige Chance ist eure Makellosigkeit. Ihr müßt warten, ohne euch umzusehen. Ihr müßt warten, ohne Belohnung zu erwarten. Und ihr müßt all eure persönliche Kraft auf die Erfüllung eurer Aufgaben wenden.
    Wenn ihr nicht makellos handelt, wenn ihr euch auflehnt und anfangt, ungeduldig zu werden und zu verzweifeln, dann werdet ihr von den Scharfschützen aus dem Unbekannten erbarmungslos niedergemacht.
    Wenn hingegen eure Makellosigkeit und eure persönliche Kraft dazu angetan sind, daß ihr eure Aufgaben erfüllen könnt, werdet ihr das Versprechen der Kraft gewinnen. Und was ist dieses Versprechen, werdet ihr fragen? Es ist ein Versprechen, das die Kraft den Menschen als leuchtenden Wesen gibt. Jeder Krieger hat ein anderes Schicksal, deshalb ist es unmöglich zu sagen, was dieses Versprechen für jeden für euch sein wird.«
    Die Sonne stand im Begriff unterzugehen. Die helle Orangefärbung der fernen Berge im Norden war dunkler geworden. Die Szene vermittelte mir den Eindruck einer windgepeitschten verlassenen Welt.
    »Ihr habt gelernt, daß es das Rückgrat eines Kriegers ist, bescheiden und tüchtig zu sein«, sagte Don Genaro, und seine Stimme ließ mich auffahren. »Ihr habt gelernt, zu handeln, ohne etwas dafür zu erwarten. Jetzt sage ich euch, daß ihr, um das, was jenseits dieses Tages vor euch liegt, zu überstehen, eure letzte Geduld brauchen werdet.«
    Ich empfand einen Schock in der Magengegend. Pablito fing unmerklich an zu zittern.
    »Ein Krieger muß immer bereit sein«, sagte er. »Es ist das Geschick von uns allen, wie wir hier sind, zu wissen, daß wir Gefangene der Kraft sind. Niemand weiß, warum ausgerechnet wir, aber das ist ein großes Glück!« Don Genaro hörte auf zu sprechen und senkte den Kopf, als sei er erschöpft. Dies war das erste Mal, daß ich ihn mit solchem Ernst hatte sprechen hören.
    »Hier nun ist es geboten, daß ein Krieger allen Anwesenden Lebewohl sagt - und auch allen, die er zurückläßt«, sagte Don Juan plötzlich. »Dies muß er in seinen eigenen Worten tun, und laut, damit seine Stimme auf ewig hier an diesem Ort der Kraft bleibe.«
    Don Juans Stimme tat noch eine weitere Dimension meines augenblicklichen Gemütszustands auf. Unser Gespräch vorhin im Auto wurde mir noch eindringlicher. Wie recht hatte er, als er sagte, daß die Heiterkeit des Bildes um uns her nur eine Luftspiegelung sei und daß die Erklärung der Zauberer einem einen Schlag versetze, den niemand parieren könne. Ich hatte die Erklärung der Zauberer vernommen, und ich hatte ihre Prämissen selbst erlebt. Und da war ich nun, nackter und hilfloser denn je in meinem ganzen Leben. Nichts, was ich je getan hatte, nichts, was ich mir je vorgestellt hätte, war vergleichbar mit dem Schmerz und der Einsamkeit dieses Augenblicks. Die Erklärung der Zauberer hatte mich sogar meiner »Vernunft« beraubt. Don Juan hatte recht, wenn er sagte, ein Krieger könne nicht Leid und Kummer vermeiden, sondern nur, sich ihnen hinzugeben. In diesem Augenblick war meine Traurigkeit unbezähmbar. Ich konnte nicht aufstehen und denen Lebewohl sagen, die die Wendungen meines Schicksals mit mir geteilt hatten. Ich erzählte Don Juan und Don Genaro,

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