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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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daß ich mit jemandem einen Pakt geschlossen hätte, gemeinsam zu sterben, und daß meine Seele es nicht ertragen könne, allein zu scheiden.
    »Wir alle sind allein, Carlitos«, sagte Don Genaro sanft. »Das ist unser menschlicher Zustand.«
    Der Schmerz meiner Liebe zum Leben und zu den mir nahen Menschen preßte mir die Kehle zu; ich weigerte mich, ihnen Lebewohl zu sagen.
    »Wir sind allein«, sagte Don Juan. »Aber allein sterben heißt nicht in Einsamkeit sterben.«
    Seine Stimme klang gedämpft und trocken, fast wie Husten. Pablito weinte leise. Dann stand er auf und sprach. Es war keine Ansprache, auch kein Bekenntnis. Mit klarer Stimme dankte er Don Genaro und Don Juan für ihre Freundlichkeit. Er wandte sich an Nestor und dankte ihm, daß er ihm Gelegenheit gegeben hatte, sich seiner anzunehmen. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
    »Wie wunderbar war es, in dieser schönen Welt zu sein! In dieser wunderbaren Zeit!« rief er und seufzte. Seine Stimmung überwältigte mich.
    »Falls ich nicht wiederkehre, dann bitte ich dich, als eine letzte Gunst denen zu helfen, die ihr Schicksal mit mir teilten«, sagte er zu Don Genaro.
    Dann wandte er sich nach Westen, in die Richtung seines Zuhauses. Sein schlanker Körper verkrampfte sich unter Tränen. Mit ausgestreckten Armen, als ob er liefe, jemand zu umarmen, rannte er zum Rand der Mesa. Seine Lippen bewegten sich, er schien leise zu sprechen. Ich wandte mich ab. Ich wollte nicht hören, was Pablito sagte. Er kam zurück, wo wir saßen, fiel neben mir zu Boden und senkte den Kopf. Ich war unfähig, etwas zu sagen. Dann aber schien eine Kraft von außen die Oberhand zu gewinnen, die mich aufstehen ließ, und ich äußerte meinen Dank und meine Trauer. Wieder waren wir still. Der Nordwind rauschte leise und blies mir ins Gesicht. Don Juan sah mich an. Nie hatte ich so viel Freundlichkeit in seinen Augen gesehen. Er sagte mir, daß ein Krieger Lebewohl sage, indem er all denen danke, die Freundschaft und Sorge für ihn empfinden, und daß ich nicht nur ihnen meine Dankbarkeit aussprechen müsse, sondern auch all denen, die für mich gesorgt und mir auf meinem Weg geholfen hätten.
    Ich wandte mich nach Nordwesten, in die Richtung von Los Angeles, und alle Sentimentalität meiner Seele flöß aus mir heraus. Welch eine reinigende Befreiung war es, meinen Dank auszusprechen!
    Ich setzte mich wieder. Niemand schaute mich an. »Ein Krieger erkennt seinen Schmerz an, aber er läßt sich nicht in ihm gehen«, sagte Don Juan. »Die Stimmung eines Kriegers, der in das Unbekannte eintritt, ist daher nicht Traurigkeit, im Gegenteil, er ist fröhlich, weil er sich durch sein großes Glück begnadet fühlt, weil er darauf vertraut, daß sein Geist makellos ist, und vor allem, weil er sich seiner Tüchtigkeit bewußt ist. Die Fröhlichkeit eines Kriegers rührt daher, daß er sein Schicksal akzeptiert hat - und weil er sich aufrichtig auf das vorbereitet hat, was vor ihm liegt.« Nun entstand eine lange Pause. Meine Traurigkeit erreichte den höchsten Punkt. Ich wollte irgend etwas tun, nur um mich von dieser Beklemmung zu befreien.
    »Zeuge, bitte betätige deinen Geist-Fänger«, sagte Don Genaro zu Nestor.
    Ich hörte das laute, lächerliche Geräusch von Nestors Apparat. Pablito wurde fast hysterisch vor Lachen, und ähnlich erging es Don Juan und Don Genaro. Ich bemerkte einen sonderbaren Geruch, und dann wurde mir klar, daß Nestor gefurzt hatte. Das wahnsinnig Komische daran war sein völlig ernster Gesichtsausdruck. Er hatte nicht zum Spaß gefurzt, sondern weil er seinen Geist-Fänger nicht bei sich hatte. Er hatte versucht, behilflich zu sein, so gut er eben konnte. Alle lachten ausgelassen. Welch eine Fähigkeit hatten sie doch, sich aus den erhabendsten Situationen in die alleralb ernsten zu versetzen. Plötzlich sprach Pablito mich an. Er wollte wissen, ob ich ein Dichter sei, aber noch bevor ich auf seine Frage antworten konnte, reimte Don Genaro:
    »Carlitos, der ist allerhand, halb ist er Dichter, halb Depp und Ignorant.«
    Wieder platzten alle los vor Lachen.
    »Na, das ist eine bessere Stimmung«, sagte Don Juan. »Und jetzt, bevor Genaro und ich euch Lebewohl sagen, dürft ihr zwei alles sagen, was euch gefällt. Es könnte das letzte Mal sein, daß ihr ein Wort sagt - jemals.«
    Pablito schüttelte verneinend den Kopf, aber ich hatte etwas zu sagen. Ich wollte meine Bewunderung, meine Ehrfurcht vor der hervorragenden Gesinnung von Don Juan und Don

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