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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Gesichtszüge. Einer, allem Anschein nach der älteste, hatte einen Schnurrbart. Seine Augen waren müde, aber freundlich. Er nahm den Hut ab und näherte sich der Bank. Die anderen folgten ihm. Die drei begrüßten mich einstimmig. Wir schüttelten uns die Hand. Don Juan bat mich, ihnen etwas Geld zu geben. Sie bedankten sich, und nach einem höflichen Schweigen sagten sie Lebewohl. Don Juan setzte sich wieder, und wir sahen ihnen nach, wie sie in der Menge verschwanden. Ich sagte zu Don Juan, ich hätte sie aus irgendeinem seltsamen Grund sehr gern gehabt.
    »Das ist gar nicht so seltsam«, sagte er. »Du mußt gefühlt haben, daß ihr Tonal ganz richtig ist. Es ist richtig, aber nicht fü runsere Zeit.
    Wahrscheinlich spürtest du, daß sie wie Kinder sind. Das sind sie. Und das ist sehr schwer für sie. Ich verstehe sie besser als du, darum konnte ich nicht anders als eine Spur traurig sein. Die Indianer sind wie Hunde, sie haben nichts. Aber dies ist eben ihr Schicksal, und ich sollte nicht traurig darüber sein. Meine Traurigkeit ist natürlich meine eigene Art, mich gehenzulassen.
    »Woher kommen sie. Don Juan?«
    »Aus den Sierras. Sie sind hergekommen, um ihr Glück zu machen. Sie wollen Händler werden. Sie sind Brüder. Ich sagte ihnen, daß ich ebenfalls aus der Sierra komme und selbst ein Händler sei. Ich sagte ihnen, du seist mein Partner. Das Geld, das wir ihnen gaben, war ein Andenken. Solche Andenken sollte ein Krieger immer verschenken. Zweifellos brauchen sie das Geld, aber ihre Bedürftigkeit sollte kein entscheidender Grund sein, wenn man ein Andenken schenkt. Was man suchen muß. ist das Gefühl. Ich persönlich war von den dreien gerührt.
    Die Indianer sind die Verlierer unserer Zeit. Ihr Niedergang fing mit den Spaniern an. und jetzt, unter der Herrschaft der Nachfahren jener Spanier, haben die Indianer alles verloren. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, daß die Indianer ihr Tonalverloren haben.«
    »Ist das eine Metapher, Don Juan'?«
    »Nein! Es ist eine Tatsache. Das Tonal ist sehr verletzlich. Mißhandlung erträgt es nicht. Seit dem Tag. da der weiße Mann seinen Fuß auf dieses Land gesetzt hat. hat er systematisch nicht nur das indianische Tonal der Zeit, sondern auch das persönliche Tonal jedes einzelnen Indianers zerstört. Man kann sich leicht vorstellen, daß die Herrschaft der Weißen für den durchschnittlichen armen Indianer die reine Hölle ist.
    Und doch ist es eine Ironie, daß sie für andere Indianer der reine Segen war.«
    »Von wem sprichst du? Welche anderen Indianer meinst du?«
    »Die Zauberer. Für die Zauberer war die Conquista die Herausforderung ihres Lebens. Sie waren die einzigen, die nicht durch sie zerstört wurden, sondern sich ihr anpaßten und sie zu ihrem besten Vorteil nutzten.«
    »Wie war das möglich, Don Juan? Ich hatte stets den Eindruck, daß die Spanier keinen Stein auf dem anderen gelassen haben.«
    »Nun, vielleicht stürzten sie alle Steine um, die in Reichweite ihres eigenen Tonal lagen. Im Leben der Indianer aber gab es Dinge, die für den weißen Mann unbegreiflich waren. Diese Dinge bemerkte er nicht einmal. Vielleicht hatten die Zauberer einfach Glück, oder vielleicht war es ihr Wissen, das sie rettete. Nachdem das Tonal der Zeit und das persönliche Tonal jedes einzelnen Indianers ausgetilgt waren, hielten die Zauberer sich an das einzige, was unangefochten geblieben war, das Nagual. Mit anderen Worten, ihr Tonal nahm Zuflucht bei ihrem Nagual. Dies hätte nicht geschehen können, es sei denn unter den qualvollen Lebensbedingungen eines unterworfenen Volkes. Die heutigen Wissenden sind das Produkt dieser Bedingungen, und sie sind die besten Kenner des Nagual, da sie ganz allein auf dieses angewiesen waren. Bis dahin ist der weiße Mann niemals vorgedrungen. Tatsächlich hat er nicht mal eine Ahnung, daß es existiert.« An diesem Punkt drängte es mich, einen Einwand vorzubringen. Ich behauptete allen Ernstes, daß wir im europäischen Denken eine Erklärung für das hätten, was er das »Nagual« nannte. Ich verwies auf den Begriff des transzendentalen Ich oder den in allen unseren Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühlen anwesenden unsichtbaren Beobachter. Ich erklärte Don Juan, das Individuum könne sich durch das transzendentale Ich als ein Selbst wahrnehmen oder intuitiv erfahren, denn dieses sei die einzige Instanz, die Urteile fällen könne, die im Bereich seines Bewußtseins Realität bezeuge. Don Juan war wenig

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