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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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sagst, es sei sein Tonal?«-
    »Ich gebe dir eine Erklärung, auf die du vorher nie gekommen wärest. Das ist aber keine Rechtfertigung oder Verurteilung. Das Tonal dieses jungen Mannes ist schwach und verzagt. Aber er steht nicht einzig da. Wir alle sitzen mehr oder minder im gleichen Boot.«
    In diesem Augenblick ging ein sehr dicker Mann an uns vorüber, in Richtung Kirche. Er trug einen teuren dunkel grauen Einreiher und hatte eine Aktentasche in der Hand. Sein Hemdkragen war aufgeknöpft, und der Schlips hing locker herab. Er schwitzte übermäßig. Seine Haut war sehr hell, was die Schweißperlen noch sichtbarer machte. »Beobachte ihn!« befahl mir Don Juan. Der Mann ging mit kurzen, schweren Schritten. Sein Gang hatte etwas Plumpsendes an sich. Er ging nicht zur Kirche hinauf; er ging außen herum und verschwand hinter ihr. »Es ist doch nicht nötig, den Körper so schrecklich zu mißhandeln«, sagte Don Juan mit einem Anflug von Verachtung. »Aber es ist eine traurige Tatsache, daß wir alle es bis zur Perfektion gelernt haben, unser Tonal zu schwächen. Dies nenne ich Sichgehenlassen.«
    Er legte die Hand auf mein Notizbuch und ließ mich nicht weiters chreiben. Seine Begründung lautete, ich könne mich nicht konzentrieren, solange ich mir dauernd Notizen machte. Er empfahl mir, mich zu entspannen, den inneren Dialog abzustellen und mich frei fließen zu lassen, um mit der beobachteten Person zu verschmelzen.
    Ich bat ihn zu erklären, was er mit »Verschmelzen« meinte. Er sagte, dies könne man nicht erklären, es sei vielmehr etwas, das der Körper fühlt oder tut, wenn er in beobachtenden Kontakt mit anderen Körpern tritt. Dann verdeutlichte er das Gesagte, indem er feststellte, er habe diesen Vorgang sonst als »Sehen« bezeichnet und es handle sich dabei um eine Pause echten Schweigens im Innern, gefolgt von einer äußeren Verlängerung irgendeines Teils des Selbst - eine Verlängerung, die auf den anderen Körper treffe und mit ihm verschmelze oder mit allem, was sich in unserem Wahrnehmungsfeld finde. An diesem Punkt wollte ich mein Schreibzeug wieder aufnehmen, aber er gebot mir Einhalt und fing an, verschiedene Menschen aus der vorüberziehenden Menge herauszugreifen. So machte er mich auf Dutzende von Personen aufmerksam, die den verschiedensten Typen von Männern, Frauen und Kindern aller Altersgruppen angehörten. Don Juan sagte, er habe absichtlich Menschen ausgewählt, deren schwaches »Tonal« sich in ein Kategorienschema einordnen lasse, um mir dadurch die verschiedenen vorstellbaren Spielarten des Sich-gehenlassens vorzuführen.
    Ich konnte mich nicht an all die Leute erinnern, die er mir gezeigt und über die er gesprochen hatte. Ich beschwerte mich, daß ich, hätte ich mir Notizen gemacht, zumindest in Umrissen seine schematische Darstellung des Sichgehenlassens begriffen hätte. Wie dem auch sei. er wollte es nicht wiederholen, oder vielleicht erinnerte er sich auch nicht mehr. Lachend meinte er. er entsinne sich nicht mehr, denn im Leben eines Zauberers sei nur das »Nagual« für schöpferische Hinfalle zuständig.
    Er sah zum Himmel auf und meinte, es sei schon spät und wir müßten von nun an anders vorgehen. Statt uns mit schwachen »Tonais« zu befassen, wollten wir jetzt auf das Erscheinen eines korrekten »Tonal« warten. Nur ein Krieger, fügte er hinzu, habe ein »korrektes Tonal«. und der normale Mensch könne bestenfalls ein »richtiges Tonal« haben. Nach etlichen Minuten des Wartens schlug er sich lachend auf die Schenkel. »Schau, wer da kommt!« sagte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Straße. »Ganz, als ob sie . . .« Ich sah drei Indianer näherkommen. Sie trugen braune Ponchos, weiße Hosen, die bis zur halben Wade reichten, langärmelige Jacken, schmutzige, ausgetretene Sandalen und alte Strohhüte. Jeder von ihnen trug ein Bündel auf dem Rücken. Don Juan stand auf und ging ihnen entgegen. Er sprach mit ihnen. Sie schienen überrascht und umringten ihn. Sie lächelten ihn an. Anscheinend erzählte er ihnen etwas über mich; die drei drehten sich um und lächelten mir zu. Sie standen etwa drei bis vier Meter entfernt. Ich horchte aufmerksam, aber ich konnte nicht hören, was sie sagten. Don Juan griff in die Tasche und reichte ihnen ein paar Geldscheine. Sie schienen sich zu freuen: sie scharrten nervös mit den Füßen. Ich hatte sie sehr gern. Sie sahen aus wie Kinder. Alle hatten sie kleine weiße Zähne und sehr ansprechende, sanfte

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