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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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schnappte nach Luft, und dann stieß ich einen lauten Schrei aus und fiel auf den Rücken. Don Juan half mir auf. Sein Gesicht war ganz nah an meinem. Er lachte.
    »Was war das?« rief ich.
    Er gebot mir Schweigen und legte mir die Hand auf den Mund. Er brachte seine Lippen an mein Ohr und flüsterte, wir müßten dieses Gebiet in ruhiger, gesammelter Verfassung verlassen, so als sei nichts geschehen.
    Wir gingen nebeneinander. Sein Schritt war entspannt und gleichmäßig. Etliche Male wandte er sich rasch um. Ich tat es ihm gleich, und zweimal erspähte ich eine dunkle Masse, die uns zu folgen schien. Ich hörte einen lauten, unheimlichen Schrei hinter mir. Einen Augenblick erlebte ich die reine Panik; wellenförmige Bewegungen liefen durch meine Bauchmuskeln; sie traten krampfartig auf und nahmen an Heftigkeit zu, bis sie meinen Körper einfach zwangen zu laufen. Über meine Reaktion zu sprechen ist mir nur in Don Juans Terminologie möglich; so kann ich sagen, daß mein Körper aufgrund der Furcht, die ich erlebte, etwas auszuführen vermochte, was Don Juan als »Gangart der Kraft« bezeichnete -eine Technik, die er mich vor Jahren gelehrt hatte und die darin bestand, in der Dunkelheit zu rennen, ohne zu stolpern oder sich zu verletzen.
    Mir war nicht gänzlich bewußt, was ich getan hatte oder wie ich es getan hatte. Plötzlich fand ich mich in Don Juans Haus wieder. Anscheinend war er ebenfalls gerannt, und wir waren zur gleichen Zeit angekommen. Er zündete seine Petroleumlampe an, hängte sie an einen Balken an der Decke und forderte mich beiläufig auf, Platz zu nehmen und mich zu entspannen.
    Eine Weile trabte ich auf der Stelle, bis ich meine Nervosität besser beherrschen konnte. Dann setzte ich mich. Er befahl mir nachdrücklich, so zu tun, als sei nichts geschehen, und reichte mir mein Notizbuch. Ich hatte nicht bemerkt, daß ich es in meiner Hast, das Gebüsch zu verlassen, verloren hatte. »Was ist dort draußen geschehen, Don Juan?« fragte ich schließlich.
    »Du hattest eine Verabredung mit dem Wissen«, sagte er und wies mit einer Kopfbewegung zum dunklen Rand des Wüsten- chaparral hinüber. »Ich führte dich dorthin, weil ich vorhin mit einem flüchtigen Blick erspähte, wie das Wissen um das Haus schlich. Man könnte sagen, das Wissen wußte, daß du kommen würdest, und erwartete dich. Statt ihm hier zu begegnen, fand ich es richtiger, ihm an einem Platz der Kraft zu begegnen. Dann stellte ich dich auf die Probe, um zu sehen, ob du genügend persönliche Kraft hättest, um es von den übrigen Dingen um uns her zu unterscheiden. Du hast es gut gemacht.«
    »Augenblick mal!« protestierte ich. »Ich sah die Silhouette eines Mannes, der sich hinter einem Busch verbarg, und dann sah ich einen riesigen Vogel.«
    »Du hast keinen Mann gesehen!« sagte er mit Nachdruck. »Auch hast du keinen Vogel gesehen. Die Silhouette im Gebüsch, die dann auf uns zuflog, war ein Nachtfalter. Wenn du es in der Sprache der Zauberer genau, in deiner eigenen Sprache aber völlig lächerlich ausdrücken willst, dann könntest du sagen, daß du heute abend eine Verabredung mit einem Nachtfalter hattest. Das Wissen ist ein Nachtfalter.« Er sah mich durchdringend an. Das Licht der Laterne warf auf seinem Gesicht seltsame Schatten. Ich wandte die Augen ab. »Vielleicht hast du persönliche Kraft genug, um dieses Geheimnis heute abend zu enträtseln«, sagte er. »Wenn nicht heute abend, dann vielleicht morgen. Vergiß nicht, du schuldest mir sechs Tage.«
    Don Juan stand auf und ging in die Küche an der Hinterseite des Hauses. Er nahm die Laterne und stellte sie, an die Wand gelehnt, auf den kurzen, runden Baumstrunk, der ihm als Bank diente. Wir setzten uns einander gegenüber auf den Boden und aßen Bohnen mit Fleisch aus einem Topf, den er zwischen uns gestellt hatte. Wir aßen schweigend. Von Zeit zu Zeit warf er mir verstohlene Blicke zu und schien jeden Augenblick in Gelächter auszubrechen. Seine Augen waren wie zwei Schlitze. Wenn er mich ansah, weiteten sie sich etwas, und das Licht der Laterne spiegelte sich in seinen feuchten Pupillen. Es war. als ob er sich das Licht zunutze machte, um diese Reflexe zu erzeugen. Er spielte mit ihnen, indem er jedesmal. wenn er die Augen auf mich richtete, fast unmerklich den Kopf schüttelte. Die Wirkung war ein fasz nierendes Lichtflimmern. Erst nach etlichen Malen bemerkte ich, daß er dies absichtlich tat. Ich war davon überzeugt, daß er damit einen bestimmten Zweck

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