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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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mit der ich nichts zu tun hatte. Ich kam mir komisch vor. Don Juan forderte mich auf, mich neben ihn, in den Mittelpunkt des Kreises zu setzen. Er meinte, es sei schon zu dunkel und ich sei jetzt in Gefahr, wenn ich zu nah am Chaparral säße. Mir lief ein Frösteln über den Rücken, und ich sprang zu ihm hinüber. Er hieß mich nach Südosten blicken und verlangte, ich solle mir befehlen, zu schweigen und keinerlei Gedanken zu haben. Zuerst gelang es mir nicht, und ich wurde einen Augenblick ungeduldig. Don Juan wandte mir den Rücken zu und sagte, ich solle mich gegen seine Schulter stützen. Sobald ich einmal meine Gedanken beruhigt hätte, meinte er. solle ich die Augen offenhalten und den Blick auf das Gebüsch im Südosten richten. Mit geheimnisvoller Stimme fügte er hinzu, er wolle mir eine Aufgabe stellen, und wenn es mir gelänge, sie zu lösen, dann wäre ich bereit für einen weiteren Ausschnitt der Welt der Zauberer.
    Ich fragte kleinlaut, welcher Art diese Aufgabe sei. Er kicherte leise. Ich wartete auf seine Antwort, und dann schaltete irgend etwas in mir ab. Ich spürte, daß ich schwebte. Meine Ohren schienen sich zu öffnen, und Tausende von Geräuschen des Chaparral wurden hörbar. Es waren so viele, daß ich sie im einzelnen nicht unterscheiden konnte. Ich glaubte einzuschlafen, und dann fesselte plötzlich etwas meine Aufmerksamkeit. Es war nichts, woran mein Denken beteiligt gewesen wäre; es war kein visuelles Bild, auch kein Gebilde der äußeren Umwelt, sondern mein Bewußtsein wurde durch etwas Unbestimmtes eingenommen. Ich war völlig wach. Meine Augen konzentrierten sich auf eine Stelle im Chaparral, aber ich schaute weder hin. noch dachte ich, noch sprach ich zu mir. Meine Gefühle waren klare Körperempfindungen; sie bedurften keiner Worte. Ich hatte das Gefühl, als raste ich durch etwas Unbestimmtes hindurch. Was da raste, wären normalerweise vielleicht meine Gedanken gewesen; jedenfalls hatte ich die Empfindung, mich mitten in einem Erdrutsch zu befinden, so etwas wie eine Lawine stürzte zu Tal. und ich steckte mittendrin. Ich spürte den Sturz im Magen. Irgend etwas zog mich in den Chaparral. Ich konnte die dunklen Massen der Büsche vor mir nicht unterscheiden. Es handelte sich aber nicht um eine unterschiedslose Dunkelheit, wie es normalerweise der Fall gewesen wäre. Ich konnte jeden einzelnen Busch sehen, als betrachtete ich sie im Zwielicht. Sie schienen sich zu bewegen: ihre Blättermassen sahen aus wie schwarze Frauenröcke, die mir entgegenwallten, als würden sie vom Wind hochgeweht, aber es gab keinen Wind. Ihre hypnotisierenden Bewegungen nahmen mich ganz gefangen; es war eine pulsierende Wellenbewegung, die sie immer näher zu mir heranzuführen schien. Und dann nahm ich eine hellere Silhouette wahr, die sich von den dunklen Umrissen der Büsche abzuheben schien. Ich richtete den Blick auf eine Stelle neben der helleren Silhouette und entdeckte dort ein hellgrünes Leuchten. Dann sah ich hin. ohne meinen Blick scharf einzustellen, und ich war sicher, daß die hellere Silhouette ein Mann war. der sich im Unterholz verbarg. In diesem Augenblick befand ich mich in einem höchst seltsamen Zustand der Bewußtheit. Ich war mir der Umgebung und der seelischen Prozesse bewußt, die diese Umgebung in mir auslöste, und doch dachte ich nicht, wie ich für gewöhnlich denke. Als ich zum Beispiel erkannte, daß die Silhouette, die sich vom Gebüsch abhob, ein Mann war. erinnerte ich mich an einen anderen Vorfall in der Wüste; damals bemerkte ich. während Don Genaro und ich eines Nachts durch den Chaparral wanderten, daß sich in den Büschen hinter uns ein Mann verbarg, aber in dem Augenblick, als ich versuchte, das Phänomen rational zu erklären, hatte ich den Mann aus den Augen verloren. Diesmal jedoch wollte ich den Überblick behalten und weigerte mich, überhaupt etwas zu denken. Einen Augenblick hatte ich den Eindruck, ich könne den Mann festhalten und ihn zwingen, zu bleiben, wo er war. Dann spürte ich einen seltsamen Schmerz in der Magengrube. Irgend etwas schien mich inwendig aufzureißen, und ich konnte die Bauchmuskeln nicht mehr anspannen. Genau in dem Augenblick, als ich mich dieser Empfindung überließ, taumelte der dunkle Schatten eines riesigen Vogels oder irgendeines fliegenden Tieres aus dem Chaparral auf mich zu. Es war, als habe die Gestalt des Mannes sich in die Gestalt eines Vogels verwandelt. Ich hatte die klare, bewußte Empfindung von Angst. Ich

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