Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ich gleich ohne diese bin, vor Augen stellen, wie ich mich von hier entreißen und ein besseres Los aufsuchen solle. Ihr wißt aber nicht, wer ich bin und wie es wohl möglich ist, daß, wenn ich dieser Lage entrinne, wohl in ein noch schlimmeres Unglück stürzen kann, ihr müßt mich also für einen Menschen von schwachem Verstande halten, oder was noch schlimmer ist, für ganz vernunftlos erklären, und freilich wäre es kein Wunder, wenn ihr es tätet, denn ich weiß es wohl, wie mich das ewig gegenwärtige Bild meines Elends so überwältigt hat und so zu meinem Verderben wirkt, daß ich mich selber nicht mehr besitze, sondern oft besinnungslos wie ein Stein bin und jeder menschlichen Empfindung entbehre; drum muß ich auch alles glauben, was mir manche erzählen und mir durch Spuren beweisen, wie ich gehandelt habe, wenn jener schreckliche Zufall alle meine Kräfte beherrscht. Ich kann nun nichts weiter tun, als vergeblich klagen und ohne Zweck mein Schicksal verwünschen und zur Entschuldigung meines Wahnsinns jedem, der mich anhören will, mein Unglück erzählen, damit, wenn die Klugen die Ursache erfahren, sich nicht über die Folgen desselben wundern, und wenn sie mir nicht helfen können, mich doch wenigstens nicht anklagen, weil ihr Zorn über meinen Frevel in Mitleid über mein Unglück verwandelt werden muß. Kommt ihr also, meine Herren, in der nämlichen Absicht hierher, in der schon manche gekommen sind, so bitte ich euch, ehe ihr noch in euren gütigen Überredungen fortfahrt, die Geschichte meines Unglückes anzuhören, weil ihr vielleicht nachher selber eure Mühe unnütz findet, mir in meinem Elende Trost zu geben, das durchaus keinen Trost zuläßt.«
Es war gerade der Wunsch der beiden, aus seinem eigenen Munde die Ursache seiner Schwermut zu erfahren, sie baten ihn daher, seine Geschichte vorzutragen, wobei sie versprachen, ihm keine andere Hilfe und keinen anderen Trost anzubieten, als die er selber wünschen würde. Der traurige Ritter fing also seine betrübte Geschichte an und trug sie fast mit den nämlichen Worten und Wendungen vor, wie er sie dem Don Quixote und dem Ziegenhirten vor wenigen Tagen erzählt hatte, als bei Gelegenheit des Meisters Elisabath und durch die Gewissenhaftigkeit Don Quixotes, den Gesetzen der Ritterschaft Folge zu leisten, die Erzählung abgebrochen wurde, wie es die Historie oben vorträgt. Jetzt aber fügte er das gute Glück, daß sie von keinem Anfall von Wahnsinn gestört wurden, sondern er führte seine Geschichte bis zu Ende. Als er an die Stelle kam, wo Don Fernando im Amadis von Gallia den Brief fand, sagte Cardenio, daß er ihn auswendig wisse, und deshalb sagte er ihn mit diesen Worten her:
»Lucinde an Cardenio:
Jeden Tag entdeckte ich neue Vorzüge in Euch, die mich zwingen und verpflichten, Euch von neuem hochzuschätzen, wenn Ihr mich also von meinen Schulden befreien wollt, ohne Euch mit meiner Ehre bezahlt zu machen, so könnt Ihr es leicht tun. Ich habe einen Vater, der Euch kennt und mich liebt und, ohne mich zu zwingen, Euch das bewilligen wird, was er für Recht erkennt, wenn Ihr mich so hochschätzt, wie Ihr es sagt, und wie ich es glaube.
Durch dieses Blatt wurde ich, wie schon gesagt, bewogen, um Lucinden als meine Gemahlin anzuhalten, und durch dieses Blatt wurde Fernando in seiner Meinung bestätigt, Lucinden für das verständigste und klügste Mädchen seiner Zeit zu halten, und dies erregte in ihm zuerst den Wunsch, mich lieber zu vernichten, als daß mein Wunsch in Erfüllung ginge. Ich erzählte Don Fernando, was mir Lucindes Vater erwidert hatte, daß es meinem Vater zustehe, um sie anzuhalten, wie ich es aber nicht wage, es ihm zu sagen, aus Furcht, daß er nicht einstimmen möchte, nicht deshalb, weil ihm der Wert, die Tugend und Schönheit der Lucinde unbekannt sei, denn ihre Eigenschaften wären hinreichend, ihre Verbindung mit jeder spanischen Familie ehrenvoll zu machen; sondern ich begriffe wohl, daß mein Vater nicht suchen würde, mich so schnell zu verheiraten, bis er erst sähe, was der Herzog Ricardo für mich tun würde. Kurz, ich sagte ihm, daß ich nicht Stärke genug habe, mit meinem Vater darüber zu sprechen, denn nicht nur dies Hindernis, sondern noch manches andere mache mich mutlos, ohne daß ich recht sagen könne was, es wäre mir aber, als wenn meine Wünsche niemals in Erfüllung gehen würden.
Don Fernando antwortete mir, daß er es über sich nehme, mit meinem Vater zu sprechen und ihn dahin zu
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