Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Bruder schriebe ihm, daß er ihm ohne dessen Vorwissen Geld schicken möchte. Alles dies war aber nur eine Erfindung des falschen Fernando, denn es fehlte seinem Bruder nicht an Geld, um mich sogleich abzufertigen. Dieser Befehl brachte mich beinahe dahin, nicht zu gehorchen, denn es schien mir unmöglich, so viele Tage von Lucinde entfernt zu leben, besonders da ich sie so schwermütig verlassen hatte; dennoch aber gehorchte ich als ein redlicher Diener, ob ich gleich einsah, daß es auf Kosten meiner Wohlfahrt geschah. Indem aber vier Tage verflossen waren, kam ein Mann, der mich aufsuchte und mir einen Brief brachte, von dem ich sogleich die Aufschrift erkannte, denn es war Lucindens Hand. Ich eröffnete ihn erschrocken, denn nur eine sehr wichtige Ursache konnte sie bewogen haben, mir, dem Abwesenden, zu schreiben, denn sie tat es, auch wenn ich gegenwärtig war, nur selten. Ehe ich noch las, fragte ich den Mann, wer ihm den Brief gegeben und wieviel Zeit er auf dem Wege zugebracht habe. Er erzählte mir, wie er durch eine Gasse der Stadt gegangen sei um die Mittagsstunde, als ihm aus einem Fenster eine Dame zugerufen, die Augen von Tränen naß, und zu ihm mit vieler Hast gesagt habe: ›Wenn Ihr ein Christ seid, mein Freund, wie ich glaube, so bitte ich Euch im Namen Gottes, diesen Brief gleich nach dem Orte und an die Person zu besorgen, an die er gerichtet ist, es ist ein gutes Werk, womit Ihr dem Herrn des Himmels einen Dienst erweiset, damit Ihr es aber bequem tun könnt, so nehmt das, was in dem Tuche ist.‹ ›Und wie sie dies gesagt hatte, warf sie mir aus dem Fenster ein Schnupftuch herab, in dem hundert Realen eingebunden waren und dieser goldene Ring, den ich am Finger habe, samt diesem Briefe. Ohne meine Antwort abzuwarten, ging sie schnell vom Fenster zurück, doch sah sie vorher zu, ob ich den Brief und das Tuch nahm, worauf ich ihr durch Zeichen sagte, daß ich ihren Befehl ausführen würde. Da ich mich nun für die Mühe des Überbringens so reichlich bezahlt sah und aus der Überschrift erkannte, daß der Brief an Euch, mein Herr, gerichtet war, den ich sehr gut kenne, mich auch die Tränen der schönen Dame gerührt hatten, so nahm ich mir vor, das Geschäft keinem anderen zu vertrauen und den Brief selbst zu überliefern; seitdem sind sechzehn Stunden verflossen, in welcher ich den Weg zurückgelegt habe, der, wie Ihr wißt, achtzehn Meilen beträgt.‹
Indem der gute Mann dies erzählte, stand ich, von seinen Reden verwirrt, mit zitternden Füßen, daß ich mich kaum aufrecht erhalten konnte. Ich erbrach den Brief und fand folgenden Inhalt:
›Das Versprechen, welches Don Fernando Euch gab, Euren Vater zu bereden, mit dem meinigen zu sprechen, hat er zu seinem Besten, nicht aber zu Eurem Vorteile erfüllt. Wißt, daß er mich zur Gemahlin begehrt hat, und mein Vater, von Don Ferndandos Vorzügen vor Euch, wie er ihn ansieht, verleitet, nimmt die Sache so ernst, daß innerhalb zwei Tagen die Vermählung gefeiert werden soll, und zwar so verborgen und geheim, daß nur der Himmel und einige Leute aus dem Hause Zeugen sein werden. Was ich leide, könnt Ihr fühlen; wenn Ihr kommen wollt, so eilt; und ob ich Euch liebe oder nicht, soll der Erfolg zu erkennen geben. Gebe Gott, daß dies in Eure Hände fällt, ehe ich mich gezwungen sehe, die meinigen mit dem zu verbinden, der schlecht die versprochene Treue zu halten weiß. ‹
Dies war der Inhalt des Briefes, der mich sogleich fort auf den Weg trieb, ohne Antwort oder Geld zu erwarten, denn ich sah nun wohl ein, daß nicht der Kauf der Pferde, sondern seines Vergnügens den Don Fernando bewogen hatte, mich zu seinem Bruder zu schicken. Die Wut gegen Don Fernando sowie die Furcht, den Lohn zu verlieren, den ich mir durch so viele Jahre des Dienstes und der Liebe erworben hatte, gaben mir Flügel, denn ohne daß ich wußte wie, war ich schon am anderen Tage um die Stunde an dem Orte, in der ich Lucinde zu sprechen pflegte. Heimlich ging ich hin und ließ mein Maultier in dem Hause des braven Mannes, der mir den Brief gebracht hatte; es fügte sich so glücklich, daß ich Lucinde gerade am Gitterfenster traf, dem Zeugen unserer Liebe. Lucinde sah mich gleich, und ich sah sie, aber nicht so, wie wir uns hätten wiedersehen müssen. Wer aber in der Welt kann sich rühmen, das verwirrte Gemüt und den veränderlichen Sinn eines Weibes zu kennen und ergründet zu haben? Wahrlich keiner. Wie mich Lucinde erblickte, sagte sie: ›Cardenio, ich bin zur
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