Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Mißtrauen, Lust und Unlust, Gunst und Verschmähung, jene gepriesen, diese beweint. Indes Don Quixote das Buch durchsuchte, durchsuchte Sancho den Mantelsack, ohne in ihm, sowie in dem Reitkissen eine Naht unbeachtet zu lassen, er untersuchte und erforschte jede Falte, er pflückte jedes Häufchen Wolle auseinander, denn er wollte nichts aus Eilfertigkeit oder Achtlosigkeit übergehen, eine solche Gier hatten in ihm die gefundenen Goldstücke erweckt, die sich über hundert beliefen, und ob er gleich nicht mehr als die schon gefundenen fand, so glaubte er sich doch für die Prelle, für das Brechmittel, die Einsegnungen der Krippenstangen, die Faustschläge des Eselstreibers, für den Verlust des Schnappsackes, die Beraubung des Mantels und für allen Hunger, Durst und Mühseligkeit, die er nur immer im Dienste seines trefflichen Herrn ausgestanden hatte, durch die Güte, daß ihm dieser Fund überlassen wurde, hinlänglich belohnt. Der Ritter von der traurigen Gestalt ging mit dem heftigen Wunsche schwanger, zu wissen, wer der Herr des Mantelsackes sei, aus dem Sonette wie aus dem Briefe, aus den goldenen Münzen wie aus der feinen Wäsche zog er den Schluß, daß es kein anderer, als ein Verliebter von Rang und Stand sein könne, den Verschmähung und Unfreundlichkeit seiner Dame zu irgendeinem verzweifelten Entschlusse geführt habe; da aber in dieser unwohnbaren wilden Gegend niemand zu sehen war, den er hätte fragen können, so richtete er nunmehr seine Sorgfalt darauf, seinen Weg fortzusetzen, immer mit der Einbildung angefüllt, daß ihm in diesen Wüsteneien notwendig ein seltsames Abenteuer aufstoßen müsse.
So wie er noch mit diesen Gedanken fortzog, bemerkte er, wie auf dem Rücken des Berges, der vor ihm lag, ein Mensch sich mit wundernswürdiger Schnelligkeit von Stein zu Stein und von Busch zu Busch in Sprüngen fortbewegte; er war halb nackt, sein Bart schwarz und dick, die häufigen Haare in Verwirrung, die Füße ohne Schuh und die Beine ganz unbedeckt; um die Schenkel trug er Beinkleider, dem Anschein nach von bräunlichem Samt, aber sie waren so zerrissen, daß man an vielen Stellen das Fleisch erblicken konnte; sein Kopf war entblößt, und ob er gleich, wie gesagt, schnell vorüberlief, sah und erkannte der Ritter von der traurigen Gestalt dennoch alle diese Merkmale. So viele Mühe er sich aber auch gab, war es ihm doch unmöglich, ihm zu folgen, denn der Schwachheit des Rosinante widerstand es, scharf in diesen Umwegen zu rennen, da überdies sein Gemüt saumselig und phlegmatisch war.
Plötzlich fiel es dem Don Quixote ein, daß eben dieser der Herr des Reitkissens und des Mantelsackes sein müsse und zugleich faßte er den Vorsatz, ihn aufzusuchen und wenn er auch ein Jahr im Gebirge herumziehen müßte, um ihn zu finden; somit befahl er dem Sancho, vom Esel abzusteigen und von der einen Seite die Runde um den Berg zu machen, indem er von der anderen Seite herumgehen wollte, weil sie durch diese Anstalt vielleicht den Menschen anträfen, der mit so großer Eile vor ihnen vorübergerennt sei.
»Das kann nicht geschehen«, antwortete Sancho, »denn so wie ich mich von meinem werten Herrn entferne, ist die Furcht bei mir, die mir tausenderlei Schrecken und Einbildungen verursacht, das, was ich jetzt sage, mag zugleich zur Nachricht dienen, daß ich mich in Zukunft nicht um einen Fingerbreit von Euer Edlen entfernen werde.«
»Es sei also«, sprach der von der traurigen Gestalt, »und es freut mich sehr, daß du meinem Geiste so fest vertraust, der dich auch niemals verlassen soll, selbst wenn dein Geist deinen Körper verließe: gehe mir also langsam, oder wie es dir am besten deucht, nach, gebrauche deine Augen statt Lichter, indem wir durch diese Klüfte schweifen, vielleicht treffen wir den Menschen, den wir erblickten, der ohne allen Zweifel der Eigentümer unseres Fundes sein muß.«
Worauf Sancho die Antwort gab: »Es wäre doch besser, ihn nicht zu suchen, denn wenn wir ihn finden und er vielleicht der Herr von dem Gelde ist, so folgt daraus klärlich, daß ich es ihm wiedergeben muß, drum ist es besser, wir lassen diese unnütze Mühe, damit ich’s mit gutem Gewissen einstecken kann, bis wir auf eine andere nicht so vorwitzige und mühselige Weise den wahrhaftigen Herrn entdecken, vielleicht zu einer Zeit, wenn es schon verzehrt ist, wo dann der Kaiser sein Recht verloren hat.«
»Du bist im Irrtume, Sancho«, antwortete Don Quixote, »denn indem wir nur auf die Vermutung
Weitere Kostenlose Bücher