DoppelherzTOD
Sommer saß man hier sicherlich gut. Blick auf Park, Elsterflutbecken und Spielplatz. Es war ein Idyll und kein Pflegeheim. Hier zu wohnen kostete sicherlich Tausende im Monat. Wie konnte Hosfeld diesen Luxus bezahlen? Ehrlicher mochte nicht darüber nachdenken. Er fragte sich sowieso, warum er vorgestern ja gesagt hatte und jetzt vor Haus Roseneck und Frieder Hosfeld stand.
Der Major lächelte und zeigte mit seinem Arm ins Rund. »Und dann sitzen wir hier mit einem Kaffee oder Bier und schauen auf die Rudersportler und Krippenkinder. Da ist man mitten im Leben.«
Man guckt dem Leben zu, aber das würde Ehrlicher dem stolzen Kollegen nicht ins Gesicht sagen. Stattdessen nickte er. Er persönlich hielt nichts von Altersheimen und Seniorenresidenzen. Wenn man dort einzog, hatte man mit dem Leben abgeschlossen. Danach kam nur noch ein Weg. Der zum Friedhof.
»Jeden Abend ist hier was los. Gesellschaftstanz.« Oh, mein Gott, stöhnte Ehrlicher und sah sich mit alten Schachteln Tango tanzen. Dazu hatte ihn nicht einmal Frederike überreden können. »Skatturniere.« Wo einer den andern übers Ohr haut. Ehrlicher spielte aus Freude und nicht mit dem Ehrgeiz, unbedingt zu gewinnen. »Und dann singen einmal im Monat die Kinder vom Kindergarten gegenüber.« Obligatorisch, siehste in jedem Dokumentarfilm übers Alterselend. Macht sich gut: Enkel lieben die Groß- und Urgroßeltern, auch wenn es gesellschaftlich gewollter Gruppenzwang ist. Nein, Heim war für Ehrlicher keine Alternative, auch wenn es so nobel wie Haus Roseneck war.
Hosfeld redete sich in wahre Begeisterung: »Gymnastik und Kaffeefahrten, und die Geburtstage werden gefeiert. Dann steppt hier der Bär, sage ich dir!« Mit Bärbel Wachholz, Fred Frohberg und Helga Brauer aus der Konserve. Ehrlicher bevorzugte andere Rhythmen. »Wäre das nichts für dich?«
»Nee, wäre es nicht.« Um unter Dementen, Hinfälligen, Halbtoten zu leben, dafür fühlte sich Bruno Ehrlicher einfach zu jung. Und so alt konnte auch Hosfeld nicht sein. »Solange ich noch für mich sorgen kann, wohn ich allein.«
»Aber wenn es zu spät ist, kriegste keinen Platz mehr im Heim.«
»Mensch, ich bin kein halbes Jahr in Pension, und du redest vom Tod!«
»Ich denke, du solltest dir Gedanken machen.«
Bruno Ehrlicher war versucht wieder zu gehen. Nur im Überschwang des Alkohols und unter Zwang zweier Frauen hatte er zugestimmt, Hosfeld zu besuchen.
Rein informell, ohne Verpflichtung. Und der nutzte die Chance, um ihn gleich ins Heim einzukaufen. Bekam sicher dafür Prozente. Die Pflegekasse konnte solchen Luxus nicht finanzieren. Oder täuschte er sich? Ehrlicher sah das Elend der Altenbetreuung im Fernsehen. Wundgelegen. Verdurstet. Geschlagen. Es wäre für ihn wirklich die letzte Option, ins Heim zu ziehen. Die allerletzte. Dahin musste er getragen werden und bewegungsunfähig sein.
»Na dann, komm rein in die gute Stube.«
Die gute Stube war ein Foyer. Im Zentrum eine Rezeption wie im Interhotel. Die junge Frau dahinter lächelte freundlich. Sofas und Sessel im Raum waren besetzt. Eine Dame mit Haarnetz und vielen Falten stürzte auf sie zu. Hosfeld hatte keine Zeit, ihr auszuweichen. Sein Blick bat um Verzeihung. »Frau Emmerich begrüßt jeden, der zu uns zu Besuch kommt«, erklärte er.
Ehrlicher konnte die ausgestreckte Hand nicht übersehen. Sein ehemaliger Kollege tat es. »Na, Herr Hosfeld, wen haben Sie uns denn da Schönes mitgebracht? Ich bin die Louise Emmerich.« Und die alte Dame streckte ihm ihre greise Hand hin. Ihr Haarnetz reflektierte das Licht der Neonröhren.
»Ehrlicher, Bruno Ehrlicher.« Er schüttelte die knochigen Finger und erkannte sich selbst nicht. Stellte sich dieser Emmerich vor, als wäre es ein Empfang beim Ministerpräsidenten. Auch solche Begegnungen waren Gründe, die ihm einen Heimplatz verleideten. Täglich eine Frau Emmerich, das hielt Ehrlicher nicht aus.
»Was wollen Sie hier?« Es blieb nicht bei der einen älteren Dame. Auch die anderen hatten die Sessel und ihren Kaffee verlassen und näherten sich neugierig. Bruno Ehrlicher kam sich vor wie auf einem Heiratsbasar. Und anzüglich waren die Reden dieser Weiblichkeit auch.
»Ich habe ein Doppelbett im Zimmer. Dich würde ich sehr gern neben mir schlafen lassen. So wie du aussiehst.« Die Muskeln seines Oberarms wurden befühlt. Die Damen kicherten. Hosfeld bemühte sich, Ehrlicher weiterzuziehen.
»Zimmer 312!« Eine Dritte hatte sich ins Gespräch gemischt und hielt Ehrlicher am
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