Doppeltes Spiel (German Edition)
»Gut«, sagte sie praktisch. »Was kann ich also für dich tun?«
Margos Antwort ließ sie sprachlos in den Sessel zurücksinken.
»Du wirst für mich nach Frankreich gehen«, verkündete ihre Schwester zufrieden.
2. Kapitel
L ysette stand unter der spitzen Kuppel aus Stahl und Glas, durch das die Sonne des provençalischen Sommers glühte, und sah sich erschöpft nach einer Möglichkeit um, etwas Kaltes zu trinken zu bekommen. Der ein Stück außerhalb Avignons gelegene Bahnhof war nur für durchreisende Fernzüge angelegt worden und ausgesprochen spartanisch eingerichtet.
Sie schob den Ärmel ihrer leichten Bluse empor, um auf die Uhr zu blicken. Ihre Jacke hatte sie schon auf der Fahrt in die Reisetasche gestopft, denn trotz der Klimaanlage war es im Zug unangenehm warm gewesen. Der Zug hatte ein wenig Verspätung, aber Margo hatte sie vorgewarnt, dass Philippe nur sehr selten pünktlich zu einem Treffpunkt erschien. Lysette biss sich auf die Lippe. Das Lampenfieber, das in ihrem Beruf eigentlich eine häufige und durchaus auch erwünschte Erscheinung darstellte, hatte sie seit ihrer Abreise aus Paris kräftig in seinen Klauen. Es schärfte ihre Sinne, ließ ihre Nerven vibrieren, machte sie hellhörig und empfindlich wie einen Nachtfalter, der plötzlich ins helle Licht einer Lampe gerät.
Sie hob ihre Tasche auf und wandte sich zum Ausgang. Ihr Blick fiel auf die Spiegelscheibe eines Imbisses, und sie erschrak. »Ich sollte mich langsam mal daran gewöhnen«, schimpfte sie halblaut mit sich selbst. Aber der Anblick war einfach noch zu neu. Als sie am ersten Morgen noch halb im Schlaf in das Bad ihres Hotelzimmers getreten war, hatte sie »Was machst du denn hier, Margo?« zu ihrem Spiegelbild gesagt.
Die neue Frisur gefiel ihr sogar recht gut. Margo hatte geschimpft und gestöhnt, als Reginald, ihr Lieblingscoiffeur, die Schere angesetzt hatte. Aber es half nichts, Lysettes Haare waren einfach eine gute Handbreit kürzer als die ihrer Schwester, und Lysette hatte sich strikt geweigert, sich Haare anschweißen zu lassen. Da auch Reginald davon abriet, hatte Margo zähneknirschend in eine neue Frisur einwilligen müssen.
Ein paar Stunden später blickten die beiden Schwestern sprachlos in den Spiegel des noblen Friseursalons an der Kö.
»So ähnlich haben wir uns zuletzt als Kinder gesehen«, murmelte Margo. Lysette pflichtete ihr bei. Selbst ihre Maman hatte sie damals manchmal verwechselt. Reginald stand hinter ihnen, schüttelte den Kopf und lachte, während er hier ein Strähnchen zupfte, dort ein wenig mit den Fingern aufbauschte. »Wen wollt ihr denn aufs Glatteis führen?«, fragte er und hielt beiden Schwestern noch einmal den Spiegel hin.;
Margo fuhr sich durch die ungewohnt kurzen, sanft gewellten Haare und seufzte bedauernd. »Philippe wird es hassen«, murmelte sie. »Gut, dass du die Dusche abbekommst.«
Lysette senkte prüfend das Kinn und ließ das Licht in den frisch getönten Strähnchen spielen. »Es wächst ja nach«, besänftigte sie ihre Schwester. »Spätestens zur Hochzeit hast du wieder deine alte Frisur.«
Sie hatte Margo angelächelt, um das schwummrige Gefühl in ihrer Magengegend zu überspielen, und dann hatten die Schwestern untergehakt das schickste Café der Flaniermeile angesteuert, während ihnen die Blicke der Männer gefolgt waren.
Das schwummrige Gefühl steigerte sich inzwischen zu ausgewachsenen Magenkrämpfen. Lysette verzog das Gesicht und suchte sich den hübscheren der beiden Verkaufsstände aus, um eine Cola zu ordern.
Sie verließ den Bahnhof und atmete tief die trockene, nach Sonne, Staub und Flusswasser riechende Luft ein. Selbst hier zwischen Autoabgasen und heißem Asphalt lag der Duft von provenzalischen Aromen in der Luft, eine Ahnung von Thymian, ein Hauch von Mittelmeer und weiten Feldern, auf denen sich duftender Rosmarin und blühender Lavendel im Wind wiegten.
Lysette setzte sich auf eine Bank, stellte die Cola neben sich ab und zog ihren nagelneuen Blackberry aus der Tasche. Margo hatte darauf bestanden, ihr so ein Gerät zu kaufen. »Philippe weiß, dass ich mich davon nicht trenne. Du musst keine Spiegelreflex mitnehmen, die schleppe ich auch nicht mit mir herum, wenn ich in Urlaub fahre. Aber ohne mein Smartphone mache ich keinen Schritt, das weiß auch Philippe.«
Lysette sah nach, ob Margo sich gemeldet hatte, steckte den Blackberry wieder fort und griff nach den Fotos, die sie in die Außentasche ihrer Handtasche gestopft hatte. Sie
Weitere Kostenlose Bücher