Dornen der Leidenschaft
»Der Arzt kommt gleich –«
»Bestimmt dieser dumme Junge Armando«, meinte Doña Gitana trocken. »Ich sage euch, er ist ein Scharlatan«, fügte sie hinzu und richtete sich mühsam auf.
»Ach, wie ich sehe, geht es der Señora la Condesa schon besser«, meinte Doktor Sanchez amüsiert. Er hatte die letzten Worte der alten Dame beim Eintreten ins Zimmer gehört, machte sich aber nicht viel daraus.
Er fühlte der Patientin den Puls und horchte sie ab. Dann öffnete er seinen Arztkoffer und goß aus einem Fläschchen Medizin in einen Löffel.
»Was ist das? Gift?« fragte Doña Gitana und verzog das Gesicht.
»Gift, Señora, benutzen nur die Italiener«, meinte der Arzt lächelnd.
»Nun, was ist es dann, Armando?« fragte die alte Dame.
»Ein allgemeines Stärkungsmittel. Es wird Ihnen guttun«, meinte der Arzt. »Jetzt sind Sie bitte ein liebes Mädchen, und öffnen Sie weit den Mund.«
»›Mädchen‹, habe ich recht gehört?« fragte Doña Gitana, nachdem sie die bittere Medizin geschluckt hatte. »Ich sage Ihnen eines, Armando: Wenn ich auch nur ein paar Jahre jünger wäre, dann würden Sie mir Blumen bringen und sich um meine Gunst bemühen.«
»Davon bin ich fest überzeugt, Señora«, antwortete Doktor Sanchez lächelnd.
In diesem Augenblick kam Nicolas, Auroras jüngerer Bruder, der immer über alles informiert war, was gerade in Madrid passierte, eilig ins Zimmer gerannt.
»Nicolito«, wies ihn Ynez kopfschüttelnd zurecht. »Wie oft muß ich dir noch sagen, daß du nicht so hereinstürmen sollst? Man glaubt ja, du wärst im Stall erzogen worden.«
»Tut mir leid, madre« ,entschuldigte er sich automatisch. »Wißt ihr es schon?«
»Was denn, mein Sohn?« fragte Felipe.
»Also, es ist – es ist … Nein, Doktor Sanchez, gehen Sie nicht weg. Es kann sein, daß wir Sie brauchen. Es handelt sich um Basilic«
»Basilio!« stöhnte Ynez und griff sich mit der Hand an die Kehle, als ob sie das Schlimmste befürchtete. »Was ist meinem Sohn passiert?«
Nicolas versuchte, sich seine Wut und seine Erregung nicht anmerken zu lassen.
»Señor el Conde de Aroche hat ihn fälschlicherweise beschuldigt, ein Carlist zu sein, und hat die Königin dazu gebracht, einen Haftbefehl für ihn zu unterschreiben. Er wurde von Freunden gewarnt und konnte gerade noch fliehen, mit Francisca. In Don Pedros Stadtpalais warten sie auf einen Priester, um sich vor der Flucht noch trauen zu lassen. Basilio möchte, daß Aurora als Trauzeuge hinkommt.«
»Ach nein, ach nein!« jammerte Ynez.
Dann war es sie, nicht Doña Gitana, die in den Armen des Arztes ohnmächtig wurde.
Als sie wieder zu sich kam, konnte Don Felipe seine Frau überreden, zu Hause zu bleiben, statt zur heimlichen Hochzeit ihres Sohnes zu eilen. Die Montalbáns hatten keine mächtigen Freunde bei Hofe und konnten Basilio nicht helfen. Sie mußten versuchen, den Zorn Don Juans nicht auch noch auf sich zu ziehen. Nein, so sehr Felipe seinen ältesten Sohn und Erben liebte, der Junge war jetzt erwachsen und mußte sein Leben allein in die Hand nehmen. Don Felipe hatte an den Rest seiner Familie zu denken. Bestimmt war das Stadtpalais der Montalbáns von Don Juans gedungenen Männern umstellt.
Felipe bedauerte sehr, daß er das Geld, das er normalerweise für Notfälle im Haus hatte, vor ein paar Tagen ausgegeben und noch nicht ersetzt hatte. Und obwohl sich die Frauen seines Haushaltes Basilio zuliebe gern von ihrem Schmuck getrennt hätten, war das nicht möglich, denn die wirklich wertvollen Stücke lagen im Safe in Quimera. Felipe hatte nur ein paar Peseten in seiner Tasche, das war alles.
»Erkläre Basilio, warum ich kein Geld im Haus habe«, sagte er angespannt zu Aurora und schaute zu, wie sie sich einen alten rebozo vors Gesicht zog. »Wenn wir nur etwas Zeit gehabt hätten, uns vorzubereiten …«
»Ich verstehe, padre« ,antwortete Aurora ruhig und legte ihrem Vater eine Hand auf den Arm.
Wie alt und müde er plötzlich aussah! Basilios Schicksal war für alle ein schwerer Schlag – aber Aurora wußte, daß ihr geliebter Bruder ihrem Vater am allernächsten stand.
»Ich muß jetzt gehen, padre« ,fuhr sie fort. »Es kann sein, daß Don Juan und seine Gefolgsmänner sich schon auf den Weg zu Don Pedros Stadtpalais gemacht haben.«
»Si, sí. « Felipe nickte gedankenverloren. Dann holte er tief Luft und nahm sich zusammen. »Gib acht auf dich, niña. Ich habe Angst um dich.«
Aurora zog ihr ältestes Kleid an. Sie sah darin aus wie ein
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