Dornen der Leidenschaft
junges Küchenmädchen. Sie würde den kurzen Weg zu Don Pedros Stadtpalais allein gehen. Wenn die Montalbáns dort schon Wachposten bezogen hatten, würde sie kein Mißtrauen erwecken, denn keine Frau aus besserem Haus ging in Spanien ohne ihre Anstandsdame aus, besonders nicht nachts.
»Ich pass’ gut auf, padre, ich verspreche es dir.«
Nachdem sie ihren Vater umarmt hatte, trat Aurora in die dunkle Nacht hinaus und setzte sich in eine Mietdroschke.
Als sie sich auf dem durchgesessenen Samtpolster niederließ, war sie froh, daß niemand sie sehen konnte. Sie war sicher, daß man durch ihren Umhang hindurch erkennen konnte, wie stark ihr das Herz schlug. Die Mietkutsche setzte sich langsam in Bewegung und fuhr auf Umwegen zu Don Pedros Stadtpalais. Obwohl sie dort in der Nähe drei Männer im Schatten einer Toreinfahrt herumlungern sah, versuchte niemand, die Droschke anzuhalten. Sie lehnte sich zurück, schloß die Augen und schickte ein Dankgebet zum Himmel.
Noch bevor sie die Augen wieder öffnete, spürte sie die Gegenwart des Mannes, roch sein würziges Parfüm und wußte, daß er ihr gegenüber saß, um sie zu trösten. Er schien immer zu wissen, wann sie ihn nötig hatte.
Als der Nebel sich verzogen hatte, der sein Kommen jedesmal ankündigte, blickte Aurora ihm in die schwarzen Augen und beruhigte sich langsam.
»Muñeca mía« ,sagte er leise. »Du bist in Schwierigkeiten.«
» SÍ. «
Er ergriff ihre Hand.
»Hab keine Angst«, sagte er, »ich bin immer bei dir.«
Dann preßte er zu Auroras großer Überraschung seine Lippen auf ihre Hand. Eine warme Woge lief durch ihren Körper. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Sie öffnete ihre Lippen, um sich ihm mitzuteilen, fand aber nicht die richtigen Worte für diese neue, seltsame Empfindung.
»Querida« ,flüsterte er – und verschwand.
Aurora rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf. Dann schaute sie wie immer auf die Uhr und bemerkte, daß wieder nur ein paar Minuten vergangen waren, obwohl sie das Gefühl gehabt hatte, stundenlang mit ihrem Liebsten zusammengewesen zu sein.
»Wer bist du?« fragte sie laut. »Und wie kann es sein, daß du mir so wirklich vorkommst?«
Aber sie bekam keine Antwort.
Die Trauzeremonie war notgedrungen schnell vorbei, aber es war allen Anwesenden klar, daß Basilio und Francisca darüber nicht traurig waren. Trotz ihres schweren Geschicks strahlten sie vor Glück, als sie sich nach dem Treuegelöbnis küßten.
Obwohl sich Aurora Sorgen um die beiden Frischvermählten machte, war sie doch tief berührt. Die Liebenden hatten alles aufgegeben, um Zusammensein zu können. Sie mußten sogar ihr Heimatland und ihre Familie verlassen. Aurora umarmte Basilio schluchzend. Trotz des Altersunterschieds hatten sie sich immer sehr nahe gestanden.
»Paß auf dich auf, niña« ,sagte er. »Und sag padre und madre, daß ich – daß ich sie liebe … und daß ich schreiben werde … so bald wie möglich.«
»Das richte ich aus, Basilio. Ach, Basilio! Vaya con Dios, mein liebster Bruder!«
Pedro drängte zur Eile, und die Liebenden hasteten auf die Straße und verschwanden in der Kutsche, die schon wartete. Es war keinen Augenblick zu früh. Sobald das Rumpeln der Räder über die Pflastersteine nicht mehr zu hören war, wurde laut an die Eingangstür gepocht.
Offenbar hatte Doña Dorotea mehr Lebensklugheit, als ihr Mann ihr zugestand. Sie zog Aurora blitzschnell in die Küche. Dort setzte Franciscas Mutter einen Teetopf auf den Herd. Ihre Hände zitterten, aber sonst wirkte sie sehr ruhig.
»Wenn wir gefragt werden, Aurora, dann sage ich, daß du die Nichte meiner alten Anstandsdame bist und heute abend hier angekommen bist, um nach Arbeit zu suchen.«
»Sí, Doña Dorotea«, antwortete Aurora und hoffte, daß sie so gefaßt aussah wie Franciscas Mutter.
Sie würde all ihre Kraft brauchen, um diese Nacht zu überstehen. Aurora versteifte sich vor Angst, als sie die genagelten Stiefel von Don Juans Gefolgsmännern in der Halle hörte. Dann verkroch sie sich im hintersten Winkel der Küche.
Es war schon spät, aber jetzt schliefen alle – alle außer Aurora. Sie lag noch wach in ihrem schön geschnitzten, vergoldeten Bett.
Die schlimmste Nacht ihres Lebens lag hinter ihr. Das leise Geräusch des Regens, das sie normalerweise beruhigend fand, stimmte sie traurig. Die Ohnmacht ihrer Großmutter hatte sie sehr erschreckt, und der Rest des Abends war ganz einfach entsetzlich gewesen. Die endlosen Fragen von
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