Dornen der Leidenschaft
ihre Fassung endlich wiedergewonnen. »Manuels Geldgier hat dein Erbe leider erheblich geschmälert.« Die Marquesa verließ den Raum und kam kurz darauf mit einem Kästchen wieder. »Da. Ich möchte, daß du das mitnimmst«, sagte sie fest entschlossen, als sie bemerkte, daß ihr Sohn protestierte. Sie öffnete das Kästchen.
Der Visconde hielt die Luft an, als er die wertvollen Schmuckstücke sah. Er hatte keine Ahnung gehabt, daß sein Stiefvater so großzügig gewesen war, und wunderte sich, daß die Juwelen nicht in einem Tresor eingeschlossen waren. Die Zeiten waren unsicher. Es war gefährlich, mit Schmuck zu reisen. Alle wohlhabenden Damen trugen Kopien ihrer wertvollen Schmuckstücke.
»Manuel fürchtete sich nicht vor den Banditen, die den Reisenden heutzutage auflauern«, erklärte Catalina zur Überraschung ihres Sohnes. »Er stellte gern vor Gästen seinen Reichtum zur Schau. Jedesmal, wenn er – wenn er in mein Bett kam –« Es fiel ihr schwer weiterzusprechen, aber sie nahm sich zusammen. »Er legte jedesmal etwas auf meinen Nachttisch – als ob ich nicht besser als eine – als eine Hure wäre. Dann zwang er mich, den Schmuck später zu tragen … Nimm ihn mit! Nimm ihn mit! Mein Herz hängt wirklich nicht daran! Wenn du damit ein neues Leben anfangen kannst, dann war mein Leiden doch zu etwas nütze, mein Sohn. Mein einziger Sohn.«
Die Marquesa drückte Salvadors Hand an ihre Wange und küßte sie. Dann wandte sie sich ab, um ihre Fassung wiederzugewinnen.
»Und dies. Nimm dies auch mit«, fuhr sie fort und versuchte zu lächeln. Sie reichte ihm einen alten, vergilbten Brief. »Es ist der einzige, den ich in den vergangenen zwanzig Jahren von Anna erhalten habe. Ich – ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt … Ich hoffe zu Gott, daß Manuel mir ihre Briefe vorenthalten hat –« Sie unterbrach sich.
Der Visconde blickte auf den Brief und las vor:
»Santa Rosa, Texas, 1828. Meine liebste Schwester, wir sind gesund in der Neuen Welt angekommen …« Er erinnerte sich noch gut an Tante Anna María, Onkel Diego und Rafael. »Wie meine Tante ihre Rosen liebte«, sagte er leise. »Und dich auch, madre. Sie sagte immer, du wärst ihre schönste Blüte. Deshalb habe ich dich immer meine schöne Rose genannt.«
»Sí, ich weiß. Nun ja.« Catalina seufzte. »Das ist schon lange her. Sehr lange her«, wiederholte sie traurig. »Damals hatte er uns alle noch nicht zerstört.«
»Wir sind nicht zerstört, madre« ,sagte Salvador. »Er ist tot, und wir leben. Don Timoteo, ich gebe die schönste Blume von ganz Frankreich in Ihre Obhut. Passen Sie gut auf sie auf, mein alter Freund.«
»Du brauchst dir um Catalina keine Sorgen zu machen, Salvador«, versicherte ihm Timoteo und drückte ihm eine Karte in die Hand. »Gib diese Karte in meinem Büro in Cádiz ab«, ordnete er an. »Meine Leute bringen dich sicher auf ein Schiff, das in die Neue Welt segelt.«
»Muchas gradas, Don Timoteo.«
Die Marquesa drückte mit zitternden Händen ihr Taschentuch an die Brust.
»Sí. « Salvador beugte sich zu seiner Mutter nieder und küßte sie liebevoll auf die Wange. Er glaubte, daß er sie niemals wiedersehen würde. »Alles Gute, madre« ,flüsterte er. »La Aguila ist endlich frei!«
Dann richtete er sich auf und öffnete die Tür.
» Vaya con Dios« ,rief sie hinter ihm her, und das Herz tat ihr weh. » Vaya con Dios, mein Sohn.«
3. KAPITEL
Salvador war nicht der einzige junge spanische Edelmann, der in dieser regnerischen Nacht durch die engen Straßen von Madrid floh. Aber er wäre sehr überrascht gewesen, wenn er gewußt hätte, daß noch jemand vor seinem Halbbruder Juan auf der Flucht war.
Don Basilio Enrique Montalbán y Torregato, Visconde Jerez, hatte sich einer groben Fehleinschätzung schuldig gemacht. Er hatte es gewagt, sich um die Hand von Doña Francisca de Ubrique zu bemühen. Und – was noch schlimmer war – sie hatte ihn erhört und Juan abgewiesen, der ihr auch den Hof gemacht hatte. Daß sich Juan dafür rächen würde, war den beiden Liebenden nicht in den Sinn gekommen. Unglücklicherweise konnte Juan aber an nichts anderes mehr denken. Niemand schlug Don Juan Rodolfo de Zaragoza y Aquilar, Conde de Aroche, ungestraft aus dem Feld.
Wutentbrannt war Juan zur Königin gegangen, der jungen Isabella, die ihn geradezu anbetete, und hatte Basilio beschuldigt, ein Carlist zu sein, der den Thron stürzen wolle. Königin Isabella, die schüchtern und nicht übermäßig intelligent
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