Dornenkuss - Roman
hatte, wenn ich nach der Siesta in den Garten kam. Sie schlief gerne auf dem kleinen Absatz hinter der Duschwanne. Bei unseren ersten Begegnungen nach ihrem Besuch in meinem Bett war sie noch scheu davongehuscht, doch ich war ruhig stehen geblieben und nach einiger Zeit schlängelte sie sich wieder hervor und streckte sich entspannt aus, um sich zu sonnen. Dann konnte ich mich neben sie setzen, um sie so zu betrachten, wie ich den Skorpion betrachtete: mit verträumter Bewunderung und einem ruhigen, gelassenen Lebensmut im Herzen.
Ich verließ mich darauf, dass der Skorpion und die Schlange mir nicht entfliehen würden und meine langersehnte Erholung auch nicht, denn zunächst waren andere Angelegenheiten wichtiger. Nein, heute Nacht gab es eigentlich nur eine, doch sie war in meinen Augen plötzlich eine größere Herausforderung als das, was ich gerade erst mit mehr Tiefen als Höhen gemeistert hatte. Ich musste mich mit Colin versöhnen. Ich wollte es – aber ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte.
Noch immer ärgerte mich sein Ausspruch, er würde mich als Mahr nicht lieben, noch immer fand ich, dass seine Haltung Bigotterie glich. Andererseits war Tessa tot und vielleicht sollte ich angesichts dieses bahnbrechenden Erfolges, dessen Glücksgefühl bisher allerdings ausfiel, nicht so kleinlich sein. Unser Weg war frei; wir hatten genügend Zeit, alles zu klären, was wir klären wollten, obwohl mir jetzt, in der ersten Nacht in Freiheit, nicht nach Diskussionen und Rechtfertigungen zumute war.
Ohne nachzusehen, wusste ich, dass er da war. Er kam meistens nachts, damit Louis sich in seinem Unterstand ausruhen und Heu fressen konnte, mistete den Stall aus und ritt oder fuhr dann gegen Morgen wieder für ein, zwei Tage hoch in die Sila. Seit Tessas Tod war er nicht mehr hier gewesen; er würde also ein paar Stunden lang bleiben können.
Deshalb ließ ich mir Zeit und duschte ausgiebig im Garten, bevor ich mir ein dünnes Strandkleid überwarf, meine Haare notdürftig zusammenband und hinüber zum Stall lief. Colin saß auf seinem Lager, wie immer ein Knie hochgestellt und den Ellenbogen daraufgelehnt, so wie ein Maler sein Modell positionieren würde, wenn er einen jungen Krieger abbilden wollte, doch ich brauchte einige Sekunden, um mich zu vergewissern, dass er es tatsächlich war.
Wie in den bronzenen Abendstunden, wenn Colin mit Louis am Strand baden gegangen war, hatte er sich ein schwarzes Piratentuch um den dunklen Schopf gewickelt, aber das allein war es nicht, was ihn mir so fremd erscheinen ließ. Es war seine Kleidung: ein graues, anliegendes Shirt mit kurzer Knopfleiste am Kragen (geöffnet natürlich) und eine verwaschene Jeans im Used-Look, beides neu. Hatte er etwa all seine Klamotten verbrannt? Seine uralten Hemden und diese elegant geschnittenen, schmalen und doch so lässigen Hosen? Etwa auch seine Stiefel? Oder trug er sie nur nicht, weil Tessas Leichengeruch noch an ihnen haftete?
Ich hatte nicht mit dem Schmerz gerechnet, den die Vorstellung auslöste, dass Colin seine Kleider vollständig vernichtet hatte und ich ihn nie wieder darin sehen würde. Instinktiv legte ich die Hand auf mein Herz, weil seine Schläge wehtaten. Herrje, wie konnte ich so oberflächlich sein? Es waren nur Klamotten, mehr nicht. Irgendwann wären sie sowieso dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen.
Ich fing mich wieder und wartete, bis er seinen schwarzen Blick hob und mich ansah. Doch das machte es auch nicht besser. Seine Augen bestürzten mich – ich hatte nicht mit jener Ruhelosigkeit und Erschöpfung gerechnet, die ich in ihnen erkannte, sondern eher mit teuflischem Schalk, gefolgt von einer arroganten Zote, doch dieser Ausdruck war mir selbst zu nah, mir selbst und meinen Empfindungen und auch dem erbitterten, acht Tage andauernden Versuch, nicht zu weinen, auf keinen Fall zu weinen, weil dann mein Körper meine Schwäche erkennen würde. Colin sagte nichts, während seine Augen fiebrig über mein Gesicht und meine Gestalt wanderten. Also musste ich es tun.
»Wie es aussieht, haben wir überlebt. Ich bin gesund.«
In dem Moment, als ich es aussprach, kam mir der Gedanke, an der Pest erkrankt zu sein, plötzlich grotesk und märchenhaft vor, doch Colins Reaktion zeigte mir, dass er das nicht gewesen war. Er murmelte einen kurzen Satz auf Gälisch, der wie ein Dankesgebet klang, und vergrub für einen Moment sein bleiches Gesicht in den Händen, ein Ausdruck tiefster Erleichterung, der mir den Boden
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