Dornenkuss - Roman
Inhaber bestimmt nicht leisten. Nach einigen Minuten erschien er im Morgenmantel an der Glastür und drückte auf die Entriegelung. Summend schwang sie auf.
»Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, ich hatte mich verlaufen«, erklärte ich freundlich und deutete auf die Schlüsselwand über der Rezeption. »Zimmernummer 8. Wären Sie so lieb?«
Mit einem schlaftrunkenen Nicken schlurfte er hinter den Tresen der Rezeption und reichte mir den Schlüssel.
»Vielen Dank! Und gute Nacht.«
»Gute Nacht, Signorina.«
Tillmann saß aufrecht und mit geröteten Lidern im Bett, als ich die Tür öffnete und zu ihm ins Zimmer trat. Seine Haare sahen zerwühlt aus.
»Ellie, endlich! Wo bist du gewesen? Ich warte schon seit Stunden auf dich. Ich dachte, du wärst vor uns schlafen gegangen!«
Ich setzte mich auf meine Matratze. Noch immer haftete das Lächeln auf meinen Lippen, mit dem ich den Portier um den Schlüssel gebeten hatte. Es fiel mir so leicht, dass ich es behalten wollte.
»Bin ich auch. Ich war hier. Ich dachte jedenfalls, ich wäre hier gewesen.« Verzückt lauschte ich dem Klang meiner Stimme. Sie hörte sich wundervoll an. Ein bisschen rau, aber auch sehr weiblich. »Dann wurde ich plötzlich wach und lag auf der Stadtmauer. Seltsam, oder?«
Tillmann runzelte seine dichten Brauen. »Was ist los mit dir, Ellie? Hast du was getrunken?«, fragte er mit schwerer Zunge.
Ich lachte. »Keinen Schluck. Wie gesagt – ich hatte eigentlich schon geschlafen.«
»Aber wie bist du dann aus dem Zimmer gekommen? Die Tür war abgeschlossen. Und dein Schlüssel hing ja eben unten, sonst hättest du nicht aufschließen können, oder?« Tillmann hielt inne, um die Logik seiner Worte zu überprüfen, doch sie war korrekt. Wir hatten beide jeweils einen Schlüssel ausgehändigt bekommen.
»Vielleicht durch das Fenster«, vermutete ich gelassen. Man konnte sich problemlos von dem Sims auf die Straße hinabfallen lassen, ohne sich Verletzungen zuzuziehen. Ich hatte jedenfalls keine davongetragen. Lediglich meine nackten Sohlen brannten vom schnellen Laufen.
»Hast du dann gerade unten geklingelt oder was?« Tillmann strich sich über den Nacken, sein typisches Zeichen für Anspannung.
»Ja«, erwiderte ich achselzuckend. »Klar. Ich hab den Besitzer aus den Federn geholt und höflich um meinen Schlüssel gebeten. Was denn sonst?«
»Ellie …« Tillmann rückte ein Stück zu der kahlen Wand hinter sich, als wolle er bei ihr Schutz suchen. »Wie ist der Schlüssel denn dann an das Bord gelangt, wenn du aus dem Fenster geklettert bist? Wer hat ihn da hingehängt? Außerdem hast du den Pförtner nicht darum bitten können. Du kannst kein Italienisch.«
Dieser letzte Satz war wie ein Eimer kaltes Wasser, das über meinem Kopf ausgeschüttet wurde. Erneut begann ich zu schlottern, doch dieses Mal hoffte ich, dass es sich nicht wieder legen würde. Es musste mich wach und bei Sinnen halten. Ehe Tillmann sich meinen Überfall verbitten konnte, war ich zu ihm ans Bett gestürzt und klammerte mich an ihm fest wie eine Ertrinkende. Doch auch er hatte Angst. Er erwiderte meine Umarmung, als würde ich ihn vor allem Bösen retten können. Ich spürte, dass er eine Gänsehaut auf seinen Armen und seinem Nacken hatte. Er zitterte.
»Scheißalkohol«, murmelte er und verströmte dabei eine pikante Fahne nach Wein, Zwiebeln und Knoblauch. »Ich vertrag den Mist nicht. Ich hätte nicht so viel trinken sollen …«
»Wie konnte der Portier mich nur verstehen?«, wimmerte ich. Wir legten uns nebeneinander auf die harte Matratze und zogen das Laken bis zu unserem Kinn hoch. »Und dann die Sache mit dem Schlüssel … Tillmann, hier stimmt gar nichts mehr … Ich hab eben gedacht, dass da jemand bei mir ist, unten auf der Straße, ich war mir sicher, dass ich nicht alleine bin. Ich hab ihn gespürt, er war da!«
»Bist du vielleicht auf den Kopf gefallen?«, fragte Tillmann lallend. »Hab mal gelesen, dass …« Er unterbrach sich, um zu rülpsen, und ich hatte eine kurze Vision von dem armen gebratenen Hasen, der uns serviert worden war. »… dass eine amerikanische Frau plötzlich einen chinesischen Dialekt sprach, nachdem sie eine Amnesie erlitten hatte. Keiner konnte sich erklären, woher das kam.«
»Mag sein, aber ich könnte dir jetzt keinen einzigen Satz auf Italienisch sagen. Oh Gott … was passiert da mit mir? Wie hab ich eben ausgesehen, als ich ins Zimmer gekommen bin?«, fragte ich flehend, obwohl ich mich
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