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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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schleierhaft, warum sich ausgerechnet an diesem Fleck Erde solch kriminelle Energie, wie sie die kalabrische Mafia an den Tag legte, entwickeln konnte.
    Seit dem späten Vormittag befanden wir uns in einem Brutkasten. Das Innenthermometer des Volvos war bei 50   Grad ausgefallen und zeigte nur noch zerstückelte digitale Nonsenszahlen an. Unsere wenigen dünnen Kleider klebten an unserer Haut, unsere Haare waren verschwitzt, das Gebaren der italienischen Autofahrer verlangte Pauls Fahrkünsten das Letzte ab und die Raststätten waren nicht nur Seuchenherde, sondern hochgradig gefährlich, weil dort Banden ihr Unwesen trieben. (Wann immer ich diesen Gedanken im Geiste formulierte, konnte ich nicht glauben, was ich da dachte. Doch es war so.)
    Als wir nach Rom das erste Mal Rast gemacht hatten, hatte Gianna uns eingebläut, das Auto niemals allein und unbewacht stehen zu lassen, und kaum hatte sie zu Ende gesprochen, lief ein junger, schlaksiger Italiener auf Tillmann zu und versuchte, ihm einen DVD-Rekorder aufzuschwatzen, während der andere darauf wartete, dass wir uns an dem Verkaufsgespräch beteiligten. Laut Gianna war genau das der Plan: massive Ablenkung, damit in unseren Rücken die Autos von ihren wichtigsten Wertsachen befreit werden konnten. Gerade die Touristen aus dem Norden waren dank der Hitze und ihrer Ermüdung leicht einzuwickeln und damit ein gefundenes Fressen.
    Eher belustigend fand ich die Erkenntnis, dass die Süditaliener mich für blond hielten, obwohl meine Haarfarbe eindeutig in die Kategorie brünett fiel. Doch alles, was sich auf dem Kopf einer Frau befand und heller als schwarz war, brachte ihre Hormone in Wallung und ihren Jagdtrieb zum Erblühen. Noch nie war mir bei einem Gang vom Auto zur Tankstelle so oft hinterhergepfiffen und nachgerufen worden wie hier. Gianna brachte mir anschließend einen Satz bei, der meine Verehrer auf Abstand halten sollte. Er bedeutete übersetzt nichts anderes als »Was willst du, Schwanz?« und brachte auf den Punkt, dass man sehr wohl verstanden hatte, worum es hier ging, und den läufigen Italiener auf das reduzierte, was aus ihm sprach.
    Ich nahm mir jedoch vor, diesen Satz, der sich genauso ordinär anhörte wie das, was er meinte, nur in Ausnahmefällen zu verwenden. Bei aller Skepsis gegenüber italienischen Liebesbeteuerungen fand ich ihn sehr beleidigend. Doch selbst Tillmann fühlte sich von den Flirtattacken in seiner Funktion als Beschützer angespornt. Bei unserem nächsten Halt positionierte er sich wie ein Bodyguard neben mich, um mich vor weiteren schändlichen Verbalangriffen zu bewahren. Und siehe da, die Gigolos hielten sich zurück (allerdings nur mit Worten, nicht mit Blicken).
    Es waren nicht allein die Umgebung und die Menschen, die mich ablenkten. Auch meine diversen Körperfunktionen ließen es nicht zu, dass ich mich mit unseren Plänen beschäftigen oder ihr Ausmaß gar begreifen konnte. Nachdem meine beschleunigte Verdauung (die Nudeln!) mich schon vor Tillmann wieder aus dem Bett getrieben hatte und mein Kreislauf sich auf Notfunktionen beschränkte, war ich unsere zweite Reiseetappe wie einst die Bundesjugendspiele in der Schule angegangen: Man konnte sich leider nicht davor drücken, wollte sie aber mit Anstand und Disziplin über die Bühne bringen, denn noch schlimmer als Bundesjugendspiele waren Bundesjugendspiele, bei denen man versagte. Ich trank genug Wasser, pinkelte statt auf Klos hinter Büsche und hoffte darauf, dass meine minimale Nahrungszufuhr meine Verdauung in Schach hielt.
    Doch wie Paul es gerade bemängelt hatte, brachten selbst Kleinigkeiten uns aus der Fassung. Zum Beispiel der Borkenkäfer, der sich bei der Mittagsrast aus einer der Schatten spendenden Pinien in meinen Ausschnitt hatte fallen lassen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings noch nicht, dass es sich um einen Borkenkäfer handelte, und vermutete zappelnd und kreischend das Schlimmste. Doch ich war zu aufgepeitscht, um nachsehen zu können. Ich hatte Angst durchzudrehen, wenn ich in mein Shirt lugte und die haarigen Beine einer überdimensionierten Spinne entdeckte. Also griff ich durch den Stoff hindurch nach dem Vieh und zerquetschte es mit den Fingern, bis sich ein ölig brauner Fleck auf meinem Hemdchen ausbreitete, der einen strengen, harzigen Geruch aufsteigen ließ. Seitdem stank ich nach Borkenkäfer und sah aus, als hätte ich mich mit Exkrementen beschmiert.
    All diese kleinen und großen Ereignisse hatten dazu geführt, dass ich

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