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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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von der Karosserie des Volvos entfernt. Sie würde uns zerquetschen wie ein Elefantenfuß ein winziges Käferchen. Der Fahrer sah uns wahrscheinlich nicht einmal. Ich beobachtete die Lage, als handele es sich um ein wissenschaftliches Experiment, interessiert und mit angemessener Spannung, aber nicht übermäßig aufgeregt – bis Paul erwachte und um unser Leben zu hupen begann. Es dauerte mehrere Sekunden, bevor der Lastwagenfahrer begriff, dass da noch jemand auf der Spur und er drauf und dran war, unseren Volvo zusammenzufalten, unendlich lange Sekunden, in denen wir nur darum beten konnten, dass es schnell gehen würde oder aber ein Wunder geschah.
    Das Schicksal entschied sich für ein Wunder.
    Hupend wie wir scherten die beiden Lkws auseinander und gaben uns frei. Doch Gianna stoppte ihr Geschrei erst, nachdem Paul rechts rangefahren war und den Motor abgestellt hatte. Eine Weile blieb er wie versteinert sitzen, seine schönen, großen Hände auf das erhitzte Lenkrad gelegt. Dann stieß er die Tür auf und verließ das Auto, um über die Leitplanke zu klettern und ein paar Meter hinunter in das dornige Gestrüpp zu stiefeln, das sich neben der Autobahn ausbreitete. Wir befanden uns in der Nähe von Bari und natürlich hatten wir die Mittagshitze nicht umgehen können, weil wir auf der Höhe von Rom in den Berufsverkehr geraten waren. Das Autofahren wurde immer krimineller, je weiter wir in den Süden kamen, und jetzt war Paul auch noch am Steuer eingenickt.
    Gianna, Tillmann und ich stiegen ebenfalls aus und spähten zu Paul hinunter. Das Gestrüpp führte in ein ausgetrocknetes Flussbett, auf das Paul nun unterdrückt schimpfend zustapfte. Um uns herum sah es aus wie in einer Westernlandschaft, es gab sogar mannshohe Kakteen, fleischige mattgrüne Gewächse mit gefährlich aussehenden Stacheln, auf deren Armen feigenartige Früchte wuchsen.
    Wir folgten Paul über Steine und Geröll und mussten aufpassen, dass wir uns dabei nicht die Knöchel stauchten. Das Flussbett war so ausgedörrt, dass jeder Schritt Staub aufwirbelte. Paul hatte aufgehört zu schimpfen und blickte uns mit müdem Blick entgegen.
    »Beruhigt?«, fragte er knapp. Wir nickten. »Wisst ihr, was mir gerade durch den Kopf geht?« Wir verneinten eingeschüchtert. Pauls Nerven waren bis aufs Äußerste angespannt und in solchen Situationen war es besser, wenn man sich auf wenige Worte beschränkte oder am besten gar keine verlor und ihn in aller Ruhe runterkommen ließ. Im Frühjahr war er auf mich losgegangen, weil ich bei einer Diskussion nicht lockergelassen hatte. Ich hatte seine Aggressivität im Nachhinein mit seinem Befall begründet, doch ich wusste nicht, ob die latente Gewaltbereitschaft sich schon vollkommen gelegt hatte. Um meinen Lieblingsspruch zu zitieren: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
    »Wir unternehmen diese Reise, um einen Mahr zu töten und unseren Vater aus den Fängen der Mahre zu befreien. Richtig?«
    »Richtig«, murmelten wir im Chor.
    »Und ihr dreht schon durch, wenn uns ein Lastwagen zu nahe kommt?«
    Gianna knabberte auf der Innenseite ihrer Lippe herum, ich betrachtete ausführlich den großen ausgewaschenen Stein vor meinen Zehenspitzen, Tillmann stierte in den Himmel, wo es nichts anderes zu sehen gab als gleißendes Sonnenlicht. Der Himmel war nicht einmal blau. Er war weiß.
    Wir wagten alle drei nicht zu sagen, dass Paul gerade am Steuer eingenickt war und die Situation verschuldet hatte.
    »Ach …«, rief Paul wegwerfend und entfernte sich mit schleppenden Schritten von uns, ohne den Volvo aus den Augen zu lassen. Gianna verharrte eine Weile, dann trippelte sie ihm in gebührendem Abstand hinterher. Pauls Worte hatten bei mir ins Schwarze getroffen – aber auf andere Weise, als er beabsichtigt hatte. Er glaubte, dass wir dieser ganzen Geschichte nicht gewachsen waren. Ich hingegen glaubte, dass diese ganze Geschichte nicht zu der Art passte, wie wir unsere Reise gestalteten. Wir benahmen uns immer mehr wie ganz normale, ein wenig erschöpfte Touristen, die in den Sommerurlaub fuhren. Dieses Land war schuld daran. Italien ließ uns keine Chance, uns mit unseren eigentlichen Vorhaben zu beschäftigen. Es kostete unsere volle Aufmerksamkeit, auch in positivem, aber meistens in negativem Sinne. In einem einsamen Haus am Fjord konnte man vielleicht einen Meuchelmord planen, nicht aber hier, nicht in dieser Hitze und diesen Extremen, mit denen das Land uns ununterbrochen konfrontierte. Mir war

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