Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
weg, doch als die Spinnweben sich verflüchtigten und ich mich wieder in meinem Zimmer befand und nicht mehr in Colins Körper auf Louis’ Rücken, sah ich an ihrem Gesichtsausdruck, dass Gianna gar nicht erpicht darauf war, mich anzurühren. Ich wischte mir den Speichel vom Mund und krümmte mich im gleichen Augenblick vor Schmerzen. Wimmernd rollte ich mich auf dem Boden zusammen. Mein Gesicht war nass.
    »Soll ich einen Arzt rufen? Ich rufe einen Arzt … Da ist überall Blut …«
    »Nein.« Ich packte Giannas Knöchel, um sie am Fortlaufen zu hindern, denn das war es, was sie wollte. Nur fort von mir. Sie fürchtete mich, weil ich Colin in mir trug, verblassend zwar, aber gerade noch war er da gewesen. Er hatte mich mit sich genommen. Ich wusste, warum er das getan hatte. Freude hatte ich keine in mir gespürt, aber sehr wohl den Drang, mich ihm zu ergeben, von ihm zu träumen – glücklich von ihm zu träumen. Die Gefahr war sein Duft gewesen. Ich hatte ihn einatmen und tief in mich aufnehmen wollen, um in bittersüßen Fantasien zu versinken, sobald er davongehuscht war. Sie konnten sich ganz ähnlich anfühlen wie Glück. Colins Maßnahme war notwendig gewesen, aus seiner Sicht, wie so viele der unangenehmen Dinge, die er in letzter Zeit mit mir veranstaltet hatte.
    Wieder raste der Schmerz durch meinen Bauch, doch ich biss die Zähne zusammen und ließ Giannas Bein nicht los. Ein Arzt würde mir nicht helfen und noch weniger würde mir Mama helfen können, wenn sie auf das Chaos in meinem Dachzimmer stoßen würde. Mein Bett stand schräg im Zimmer, die Decken lagen zerwühlt auf dem Boden, mein Nachthemd war an der Schulter eingerissen, die Lampe lag in Scherben auf dem Boden. Die zerplatzte Glühbirne dampfte stinkend vor sich hin. Blut lief meine Kopfhaut entlang und sickerte in meinen Nacken. Meine Lippen schwollen bereits an. Hatte er mich geküsst? Er hatte mich geküsst? Ich konnte mich nicht daran erinnern. Oder hatte mein Biss meine Lippen anschwellen lassen? War Colins Haut giftig, wenn er Hunger hatte? Und warum war mein Kopf verletzt? Ich war mit meinem Gesicht an die Bettkante gestoßen, nicht aber mit dem Schädel. Wieso blutete er so stark? Während meine rechte Hand weiterhin Giannas Knöchel umklammerte, griff ich mit der linken tastend unter meine Haare und hielt sie mir vor die Augen. Meine Finger waren dunkelrot.
    »Ellie …« Gianna versuchte, ihr Bein anzuheben. Keine Chance. Ich war kräftiger als sie und zu allem bereit, um dieses nächtliche Intermezzo vor Mama zu verbergen.
    »Keinen Arzt, kein Wort zu meiner Mutter, kapiert? Ich hatte einen schlechten Traum, das war alles«, log ich.
    »Komm schon, Ellie, das nehm ich dir nicht ab! Er war da, oder? Colin war da. Ich hab es gespürt, ich konnte mich plötzlich nicht mehr bewegen und dann … es war nur ein Fauchen, ich dachte erst, Rufus und Mister X kämpfen wieder, aber es kam aus deinem Zimmer und … du hast eine Platzwunde am Kopf!«
    »Ich brauche keine Nacherzählung, ich hab’s selbst erlebt«, unterbrach ich sie ruppig. »Geh wieder ins Bett. Wir reden morgen darüber.«
    »Und dein Kopf? Vielleicht muss der Schnitt genäht werden. Dein Bauch tut dir auch weh, oder?«
    Ich hatte Gianna inzwischen losgelassen und mich aufgerichtet, konnte aber immer noch nicht gerade stehen. Trotzdem war ich mir sicher, dass der Schmerz bis morgen früh verschwunden sein würde. Die Wunde an meinem Schädelknochen spürte ich kaum; was ich dort fühlte, war keine Pein, sondern eher ein Gleißen, wie die Hitze der prallen Mittagssonne im August. Noch zweimal schoss pulsierend Blut aus der Wunde, die sich in einem feinen Bogen unter meinen Haaren entlangwand, einer Schlange gleich, dann begann sie zu versiegen, von ganz alleine. Plötzlich kamen mir Colins letzte Worte in den Sinn. Ich stutzte.
    »Wir sehen uns zum Tee«, wiederholte ich sie ratlos.
    Gianna kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schräg, als habe sie sich verhört. »Bitte?«
    »Doch, das hat er gesagt. Wir sehen uns zum Tee.« Ich fasste mir ratlos an die Stirn.
    »Britischer Humor, hm?«, meinte Gianna ebenso ratlos wie ich. »Er kommt nachts zu dir und richtet dich dermaßen zu, um dir das zu sagen? Wir sehen uns zum Tee?«
    Ich antwortete nichts mehr, sondern taumelte zurück zu meinem Bett, um es an die Wand zu schieben und schwerfällig meinen lädierten Körper unter die Decke zu hieven. Die Scherben ließ ich liegen. Darum konnte ich mich morgen kümmern.

Weitere Kostenlose Bücher