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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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sagte, dass Lars den Verstand eines Primaten besaß und sich schlichtweg verhört hatte.
    »Stürmchen … komm schon … was treibst du so?«
    »Nichts.«
    »Was war das für ein Kampf, hm? Ich weiß, dass du es mir eigentlich sagen willst … bin doch der gute alte Lars …«
    Ja, sich selbst gönnte Lars einen Vornamen. Allen anderen Menschen jedoch nicht. Mich nannte er Sturm und in guten Augenblicken Stürmchen und Colin hatte er den schrecklichen Spitznamen »Blacky« verliehen. Blacky! Ich dehnte mein Schweigen aus und überlegte, ob ich nicht einfach auflegen sollte. Das Problem war nur, dass nichts Lars so sehr zu einem weiteren Anruf auf der Festnetznummer ermunterte, als wenn ich unser Gespräch abbrach. Er redete sich dann ein, die Verbindung sei schlecht gewesen. Er war wie ein Terrier, er hatte eine Spur und er würde nicht eher aufgeben, bis er sie zu Ende verfolgt hatte und im Hasenbau festsaß.
    Auf der anderen Seite der Leitung hustete er sich nun lautstark Schleim aus dem Hals. Eine Gänsehaut kroch über meinen Rücken und setzte sich fröstelnd in meinem Nacken fest. Schleimige Geräusche konnte ich nicht mehr ertragen, seitdem wir den Kampf gegen François angetreten hatten. Doch Lars’ Husten erinnerte mich auch an heute Nacht. Mir selbst war der Speichel in Strömen aus dem Mund gelaufen. Jetzt war meine Zunge trocken wie immer, wenn ich morgens aus meiner nächtlichen Starre erwachte. Aber heute Nacht …
    »Was ist los, Sturm?« Lars klang ungewöhnlich ernst und gar nicht mehr so prollig wie sonst. Verdammt, er ahnte wirklich etwas.
    »Nichts«, wiederholte ich, doch selbst ein emotionaler Trampel wie er musste hören, dass das eine Lüge gewesen war.
    »Trainierst du noch, hm? Hm?«
    »ja.« Keine Lüge. Mein Training verschaffte mir die einzigen Unterbrechungen meiner ewig fruchtlosen Versuche, bei meinen Recherchen den roten Faden zu finden oder mich von meinen nächtlichen Internetsessions auszuruhen. Zweimal in der Woche fuhr ich nach Rieddorf, um mich den Übungsstunden jenes Karatevereins anzuschließen, in dem auch Colin Mitglied gewesen war. Mich beschlich ein beinahe ehrfürchtiges Gefühl, wenn ich durch die Tür trat und mich verbeugte, um dem Dojo und meinen Mitkämpfern Respekt zu erweisen. Ich liebte das Karate inzwischen, liebte es, meinen Körper zu straffen und zu stärken und auf die Sekunde genau zu funktionieren, doch es war unmöglich, die Bewegungen auszuüben und nicht an Colins und meine erste Begegnung in dieser Turnhalle zu denken, als er abends im Dunkeln seine verwobenen Schattenkämpfe vollführt hatte. Genauso unmöglich war es, mich nicht im gleichen Atemzug an unsere Trainingstage auf Trischen zu erinnern – an meine Wut und unser Begehren und wie beides sich plötzlich so haltlos miteinander vereint hatte. Jesus, war ich wütend auf ihn gewesen.
    Schon damals hatte er meine Wut ganz bewusst angefacht, damit sie so blind und gedankenlos werden konnte, wie sie es sein musste, um François zu vergiften. Ich hatte sie in Gedanken stets als Tier bezeichnet, das in meinem Bauch lauerte und vor allem dann angriff, wenn mein Gehirn kapitulierte. Oder brachte es mein Gehirn zum Kapitulieren?
    Auf dem Höhepunkt des Kampfes, als ich mir sicher gewesen war zu sterben, hatte Colin mir all meine Wut und Angst aus dem Leib gesaugt und ich hatte mich gefühlt wie neugeboren. Doch die Wut war schneller nachgewachsen, als wir beide geahnt hatten, wie ein aggressives Krebsgeschwür, das nach der lebensrettenden Operation bösartiger denn je wucherte und seine Metastasen in sämtliche Organe des Körpers aussäte. Überall in mir saßen nun diese kleinen Geschwüre, als würden sie nur darauf warten, groß genug zu werden, um sich miteinander zu vereinen.
    Doch kopflos war meine Wut nicht mehr, auch bewegte sie sich nicht mehr in Sphären, die andere, ohne zu zögern, als fortgeschrittenen Irrsinn bezeichnet hätten. Ich wusste genau, worauf ich wütend war. Es waren Kleinigkeiten, die ich nicht mehr tolerieren konnte, selbst wenn ich mich noch so bemühte. Mamas fragende Blicke. Der Brunnen im Garten. Die Wolken. Der böige Wind. Der nächtliche Regen. Die stechenden Schmerzen in meinem gerade erst verheilten Finger. Meine ständigen Kopfschmerzattacken. Mein leeres E-Mail-Postfach. Ein Messer, das mir herunterfiel, wenn ich die Spülmaschine ausräumte. Ein Mückenstich. Ein Wäschezeichen, das mich kratzte. Alles Quellen meiner Wut.
    Ich hegte die wohltuende Fantasie,

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